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Foto: © Erik Flügge

Im Interview: Erik Flügge

"Der Jargon der Betroffenheit. Wie Kirche an ihrer Sprache verreckt": Das Buch von Erik Flügge schaffte es in kürzester Zeit in die Spiegel-Bestsellerliste.

 

 
   

 

Erik Flügge war in seiner Jugend, wie er schreibt, fast jeden Sonntag im Gottesdienst. Er war Ministrant und später in der Katholischen Jungen Gemeinde (KjG) aktiv mit Funktionen im Dekanat, in der Diözese und auf Bundesebene. Nach dem Abitur studierte er zunächst Theologie, dann Germanistik und Politik. Er ist "noch immer Mitglied" der katholischen Kirche.

Heute ist Erik Flügge Geschäftsführer der Squirrel & Nuts Gesellschaft für strategische Beratung mbH. Er ist Dozent und Experte für Beteiligungsprozesse. Er berät Spitzenpolitiker und Parteien bei der Kommunikation und viele Städte und Gemeinden bei der Entwicklung von Partizipationsprojekten. Vor seiner Tätigkeit als Berater war er in der katholischen Bildungsarbeit tätig.

 
   

 

 

wissen/nicht wissen: Der mediale kirchliche Analphabetismus

Herr Flügge, Ihr Buch „Der Jargon der Betroffenheit. Wie Kirche an ihrer Sprache verreckt“ ist aus Ihrem Blog hervorgegangen. Wie kam es zum Blog und wie zum Buch?

Der Blogbeitrag entstand aus einer Laune heraus. Ich hatte irgendeine kirchliche Kommunikation auf Facebook gesehen, die völlig verschroben war. Da schrieb ich einfach meinen Frust darüber von der Seele. Der Beitrag wurde geteilt und fand sehr schnell große Verbreitung. Eine Woche später stand der renommierte Theologie-Verlag Kösel bei mir im Büro und fragte mich, ob ich ein Buch schreiben will.

Sie schreiben, dass Sie gern zu pointierter Meinung und polarisierender Position tendieren. Dass Sie ein Werbefuzzi, Großmaul und nicht zuletzt ein Besserwisser sind. Wie spiegelt sich das in Reaktionen auf Ihr Buch?  

Ich spiele gerne mit Klischees und Wahrnehmungen. Das, was wir in unserer Berufswelt tun, wird von Theologen oft abgewertet – weil es um die Inszenierung geht. Dabei ist auch die Oberfläche ein eigener Inhalt. Das muss man verstehen. – Und zu den Reaktionen: Ich hatte mit viel mehr Gegenwind gerechnet, aber bis jetzt melden sich die meisten mit sehr positivem Feedback.

Wie haben Kirchenleute auf Ihren Blogeintrag und auf Ihr Buch reagiert? Welches Feedback hat sie gefreut, welches geärgert?

Besonders schön finde ich, dass es viele Theologen gibt, die mir von ihren Erfahrungen schreiben. Oft ist dabei das eigene Predigen Thema. Nicht selten mit dem Eingeständnis, dass man es wirklich hat schleifen lassen.

Geärgert (an mir selbst) hat mich, dass es Leute gibt, die gemerkt haben, dass ich Kommas öfters an den falschen Stellen setze.

Wie äußert sich für Sie dieser ‚Jargon der Betroffenheit’? Haben Sie konkrete Beispiele? Dinge, die Ihnen immer wieder sauer aufstoßen?

Im Grunde sind es zwei Kernschwächen, die ich beobachte. Die eine ist, dass die Dinge überinszeniert werden. Da wird mit Tüchern, Klangschalen und Musik Atmosphäre geschaffen, die völlig ablenkt von der Frohen Botschaft. Das andere Extrem ist, dass die Adressaten den Sprechenden egal sind. Da werden theologische Fachbegriffe in den Raum geschleudert und universitäre Worthülsen aneinandergereiht, ohne Rücksicht auf Verluste.

Kirche ist trotz ihrer Schwächen dennoch gut, urteilen Sie. Was schätzen Sie an Kirche?

Die Kirche ist nicht nur relevanter Sinnanbieter, sondern auch sozialer Akteur. Wenn es die Kirche nicht mehr gibt, wer macht dann die Trauerarbeit? – Der Yoga-Kurs?

„Kritik an der Kirche ist so schwer, weil es immer jemanden gibt, der es nicht nur gut meint, sondern auch gut macht“, sagen Sie. Sie haben Ihr Buch dennoch geschrieben, um „einen Beitrag dazu zu leisten, dass die gute Arbeit von Kirchen bessere Wirkung in der Kommunikation entfalten kann.“ Wie kann das erreicht werden?

Wir reden bei den Kirchen über einen riesigen Kosmos. An unendlich vielen Stellen läuft etwas in der Kommunikation so schief, dass immer weniger Menschen sonntags in den Gottesdienst kommen und dass immer weniger die Botschaft verstanden wird. Diese Schwachstellen jetzt einzeln aufzulisten, wäre unmöglich. – Deshalb gibt es auch kein Patentrezept. Ich habe aber die berechtigte Hoffnung, dass die große Verbreitung des Buches innerhalb von theologischen Kreisen gerade dafür sorgt, dass viele gleichzeitig das Thema anpacken. Damit ist das Buch nicht unbedingt eine Handlungsanleitung, aber ein Gesprächsanlass, um etwas zu ändern. – Und wenn an vielen Punkten gleichzeitig in einem System sich etwas ändert, dann ändert sich oft das gesamte System.

In Ihrem Buch kritisieren Sie massiv die Sprache der Kirche, insbesondere die Sprache der Predigt? Gilt diese Kritik für beide Kirchen, die katholische und evangelische?

Definitiv für beide.  

Sie bezeichnen sich selbst als kirchenfern und sagen: „Wir sind diejenigen, von denen es in der Kirche immer heißt, sie könne man sowieso nicht erreichen.“ Hat Sie jemals ein Priester durch Predigt oder Gespräch erreicht und wenn ja wie?

Natürlich hat die Kirche mich erreicht. Sonst würde ich mich kaum mit ihr beschäftigen. Es ist auch nicht schlimm, wenn sie mich gerade nicht erreicht. Viel dramatischer ist doch, dass sie so viele Menschen nicht mit ihren Predigten erreicht, während diese gerade zuhören.

Sie schreiben: ‚Ich will sie wieder hören, eure großen Predigten.’ Was ist für Sie eine ‚große Predigt’? Und wann haben Sie zuletzt solch eine ‚große Predigt’ gehört?

Ich kann mich ehrlich gesagt nur an eine einzige Predigt in hunderten Kirchenbesuchen erinnern. Dabei habe ich ein sehr gutes Gedächtnis für Texte. Eine einzige Predigt, an die ich mich erinnere – ist das nicht ein bisschen wenig?

Sie erwähnen die Faktoren Zeitmangel und fehlendes Talent, die zu schlechten Predigten führen. Zeit, eine gute Predigt vorzubereiten und zu halten, können sich Priester eventuell noch nehmen. Aber was ist, wenn sie kein Talent haben? Wie kann man fehlendes Talent wettmachen? Etwa durch Predigtschulung? Oder sollten nur Priester predigen, die Talent haben?

Das mit dem Talent habe ich gar nicht geschrieben – das halte ich auch für falsch. Man kann problemlos lernen, mit Sprache besser zu überzeugen. Das ist kein Hexenwerk.

Sie kritisieren auch die Priesterausbildung? Was stört Sie daran und wie müsste Ihrer Meinung nach eine gute Priesterausbildung aussehen?

Der Fehler entsteht nicht in den Priesterseminaren, sondern danach in den Gemeinden. Dort kopieren junge Priester – egal, wie viel sie anderes davor gelernt haben – die Gemeindepfarrer, die dort schon seltsam sprechen. Sprich, die Sprach- und Predigtbegleitung muss parallel zum Einsatz in der Gemeinde passieren. 

Kirche hat ihre Macht verloren, ein Großteil der Bevölkerung glaubt ihr nicht mehr, sagen Sie. Und: Kirche fehlt der Zugriff auf das Gefühl der Macht über andere. Was bedeutet das für die Kommunikation und Sprache?

Ganz einfach, wenn die Leute mir nicht mehr bedingungslos alles glauben, dann muss ich überzeugender werden. Heute komme ich als Priester nicht mehr nur mit dem Amtsbonus durch. Ich muss in der Verkündigung etwas leisten.

Ihrer Meinung nach müssen Theologen oftmals Positionen vertreten, die sie selbst nicht leben, und deshalb käme nur „verschwurbelte Unverständlichkeit“ dabei heraus. Wie kann dieses Dilemma gelöst werden?

Es braucht mehr Mut der Theologen selbst, zu sagen, was sie glauben. Es braucht klare Ansagen der Bischöfe, dass theologischer Diskurs auch öffentlich erwünscht ist – und zwar auch in den Fragen der persönlichen Lebensführung.

Da die Zahl der Kirchgänger immer stärker zurückgeht, müssen Prediger sich statt Kirchen nicht neue Orte und Momente der Predigt suchen? Welche Orte und Momente könnten das sein?

Interessanterweise gibt es ja richtig gute Prediger. Deren Kirchen sind voll. Brauchen wir neue Orte oder eine neue Qualität am alten Ort?

Ist die Sprache der Kirche elitär? Schließt sie Menschen aus, die nichts mit Metaphern, Parabeln, Gleichnissen oder altgriechischen Vokabeln anfangen können?

Schlicht ja.

Was gehört Ihrer Meinung nach zu einer guten Sprache der Kirche? Was muss die Kirche dafür über Bord werfen und hinter sich lassen?

Eine gute Sprache ist echt und klingt echt. Ich darf in Stimmlage, Ton und Text nicht ein völlig anderer Mensch werden, wenn ich predige. Aber genau diese Änderung passiert ständig. Da werden seltsame Satzmelodien plötzlich gesprochen und die meisten Texte sind den Predigern selbst peinlich, wenn sie drüber nachdenken. Das zu ändern klappt nur durch eine neue Feedbackkultur und durch Selbstbeobachtung.

Am Schluss Ihres Buches beschreiben Sie, wie Sie in einer fremden Gemeinde am Werktaggottesdienst teilnehmen und niemand der anderen Kirchgänger Kontakt zu Ihnen aufnimmt. Ihre Schlussfolgerung: Gottesdienstbesucher sehen sich nicht als Gastgeber, sondern als Besucher, und vergeben so Chancen der Kontaktaufnahme. Das heißt, nicht nur die Sprache der Priester muss besser werden, sondern auch die der Kirchgänger und Kirchenmitglieder selbst?

In unseren Kirchen können wir viel zu oft wirklich kaputte soziale Systeme beobachten. Da setzen sich die Mitglieder einer „Gemeinschaft des Glaubens“ so weit wie möglich auseinander, da interagiert man nicht, da schweigen alle und haben dicke Jacken an, weil es so kalt ist. Wie soll ich mich denn in so einer Gruppe wohlfühlen? In jede Familie, in der man sich so verhält, holen wir einen Familientherapeuten.

Wie kann diese „kollektive Form der kommunikativen Verwahrlosung innerhalb unserer Kirche“, wie Sie es nennen, systematisch geändert und in eine Willkommenskultur verwandelt werden?

Wenn so wenige nur noch kommen, dann sind die meisten Kirchenräume schlicht zu groß. Wir müssen wieder hinbekommen, was der Gottesdienst immer war: Ein Gemeinschaftstreffen. Schon die frühen Christen trafen sich in Wohnzimmern und Hauskapellen. Vielleicht müssen wir anerkennen, dass wir den großen Raum nicht voll bekommen und darum Gottesdienst im Kleinen feiern, weil man sich dort begegnen kann.

Im Interview mit katholisch.de werden Sie zitiert mit dem Satz: ‚Es wäre so schlau, wenn die Kirche es schaffen würde, draußen zu erzählen, wie sie drinnen wirklich ist.’ Wie kann Kirche das spannend erzählen?

Ich war auf dem Katholikentag in Leipzig. Da erlebe ich, was alle in der Kirche erleben: Nahbare Bischöfe und viele herzliche Menschen. Man kennt sich, spricht sich an, schüttelt einander die Hände, umarmt Freunde. Für jemanden, der nicht in der Kirche Zuhause ist, bleibt das unsichtbar. Da wirken Bischöfe stets unnahbar, da glaubt man nicht, dass die Leute sich in der Kirche wohl fühlen. Das kann man tatsächlich dadurch ändern, indem man stärker in allen Publikationen das Menschliche in den Mittelpunkt rückt statt immer nur formale Formen, Gewänder und Strukturen.

Ihnen fehlt eine etablierte und gelebte Feedback-Kultur in der Seelsorge. Was wäre für Sie eine gute Feedback-Kultur der Kirche?

So simpel es klingt: Eine Kultur, in der man auch einen theologischen Text wegen seiner Form ehrlich kritisiert, ohne Angst zu haben, dass der andere sich in seinem Glauben verletzt fühlt. Daran scheitert es doch schon oft.

Was kann religiöse Sprache besser als andere Sprachen – wenn man sie gut beherrscht?

Religiöse Sprache kann in meinen Augen das Unsagbare aussprechen. Sie braucht dafür nicht immer nur Worte. Manchmal hält man einem trauernden Menschen einfach die Hand. Ein Andermal gibt man einem Zweifelnden mit ein paar ganz bewusst poetisch klingenden Worten Halt. Das sind die starken Momente religiösen Sprechens. Diese Wirkmacht ist so stark, dass wir sie bewusst einsetzen sollen. Es ist eine Sprache für existenzielle Momente, für Tod, Verzweiflung, Liebe und Entsetzen. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass man sie genau wie Medizin denken muss. Es ist eine Sprache der Heilung, die nicht überdosiert werden darf. Sprich: Sparsam damit umgehen und nicht ständig und überall einsetzen. Wenn eine Situation grade nicht wichtig ist, dann müssen auch Theologen nicht wichtig tun.

Sie sind Kommunikationsberater und Polit-Profi: Wie würde das Politiksystem handeln, wenn es Ihren Spiegel vorgehalten bekommen würde?

Die Politik bekommt diesen Spiegel täglich vorgehalten. Sie können ja als Politiker kaum unkommentiert und unkritisiert sprechen - und am Wahltag, da bekommen Sie die Quittung. Von demher ist es in der Politik ganz normal, sich immer wieder neu denken, erfinden und sprechen zu müssen. Andernfalls verlieren Sie ihre Mehrheit, ihre Existenz und nicht zuletzt ihre Macht. Das zu vermeiden ist beständiges Bestreben politischer Akteure und damit wird fortlaufend versucht, sich zu verbessern. Wohl gemerkt nicht immer mit Erfolg - aber eben versucht wird es beständig.

Wo finden Sie gute Beispiel für das, was Sie gerne mehr hätten?

Auf Beerdigungen. Im Zwiegespräch mit Theologen auf einer kleinen Steinmauer im Weinberg. Am Telefon, wenn ich mit Theologen darüber rede, was sie eigentlich hätten sagen wollen, bevor sie anfingen ihren künstlich klingen Predigten zu schreiben.

Erzählen Sie bitte von Ihrer Initiative „Valerie und der Priester“.

Valerie und der Priester ist eines der größten Verkündigungsprojekte der Deutschen Bischofskonferenz. Ich habe das Format entwickelt und produziere es mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Es versucht vier Herausforderungen zu lösen:

1. Die Kirche zeigt sich zu oft als Behörde und zu selten als einen Kosmos menschlicher Beziehungen.
2. Kirchlichen Akteuren fällt es schwer, sich verständlich auszudrücken.
3. Über Kirche wird in Medien meist nur negativ berichtet.
4. Für Kirchenferne ist ein Priesterleben komplett fremd.

Um das alles zu lösen, haben wir eine junge ostdeutsche, kirchenferne, gut ausgebildete Journalistin engagiert. Sie zieht für ein Jahr nach Münster-Roxel und begleitet einen katholischen Priester. Sie hat komplette journalistische Freiheit in der Beschreibung dessen, was sie dort erlebt. Sie schaut mit ihrer weiblichen, links-liberal-feministischen Sicht auf das Leben des Priesters. Ihr Auftrag lautet: Versuche mal zu verstehen, warum der Priester ist und das macht und was die Beobachtung dessen an Dir selbst verändert. Und das beschreibt Valerie Schönian live ein Jahr lang für das Publikum auf einem Blog, auf Facebook, twitter und youtube. Die Resonanz ist riesengroß. Wir erreichen 500.000 Menschen mit dem Format. Das Erfrischende: Die Kirche wird plötzlich menschlich, man versteht's, die Medien greifen die Geschichte positiv auf und ein ganzes Priesterleben wird verständlich.

Sie zahlen Kirchensteuer, sind aber kein aktives Mitglied einer Pfarrgemeinde. Was muss passieren, damit Sie sich in Ihrer Pfarrgemeinde engagieren würden?

Muss eine Pfarrgemeinde mein Ort in der Kirche sein?

 

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