 |
|
 |
 |
Text: Sandra Müller
|
|
Sandra Müller ist frei schaffende Hörfunkerin. Sie lebt in Tübingen und arbeitet als Redakteurin, Moderatorin und Reporterin überwiegend für den Südwestrundfunk . Sie ist Mitbegründerin der Initiative fair radio www.fair-radio.net, die sich für mehr Glaubwürdigkeit im Hörfunk einsetzt, und Mit-Organisatorin der Tutzinger Radiotage. Sie unterrichtet unter anderem an der Universität Tübingen und beim Lernradio der Hochschule für Musik in Karlsruhe. 2011 erschien ihr Buch "Radio machen". Seitdem bloggt Sandra Müller auch unter www.radio-machen.de. |
|
|
|
 |
|
|
|
„Frau Müller, Sie sind Mitbegründerin der Initiative fair radio. In dieser Initiative beschäftigen sich kritische Radiomacher- und -hörerinnen mit Manipulationen und unaufrichtigen Präsentationsformen im Hörfunk. "Hörerbetrug", "Fairness" und "Ethik" sind Stichworte, die man immer wieder bei Ihnen liest. Hat das Radio wirklich ein Ethik-Defizit und was kann man dagegen tun?“
Ja. Radio in Deutschland hat ein Ethik-Defizit. Ich weiß, dass ich mich mit diesem Satz bei vielen Kollegen unbeliebt mache und er tut mir selbst als leidenschaftlicher Hörfunkerin weh. Doch die Erfahrung lehrt mich: Ethisch Fragwürdiges im Radio wird weder von uns Machern in den Redaktionen noch von den zuständigen Kontroll-Organen noch von Medienjournalisten ausreichend hinterfragt. Und allzu oft werden zweifelhafte Produktionsmethoden im Radio einfach als alltäglich hingenommen.
Ein paar Beispiele: Ein Reporter mischt Hubschraubergeräusche aus dem Archiv unter eine Reportage aus dem Bürgerkriegsgebiet, obwohl er nie dort war. Ein Moderator ruft die Hörer auf, dem Politiker "im Studio" Fragen zu stellen, obwohl das Gespräch schon vor Tagen aufgezeichnet wurde. Eine Moderatorin "interviewt" einen Zahnpflegeexperten, dessen Antworten in Wahrheit eine PR-Agentur geliefert hat. Ein Sender verspricht den Hörern "Volltanken für 89 Cent – egal wie viel Liter", verschweigt aber, dass in Wahrheit nur die drei Schnellsten günstig tanken.
Man kann das "Hörerverarsche" nennen und als Einzelfälle abtun. Tatsache ist aber, dass (nicht nur) fair radio schon viele solche Fälle dokumentiert hat. Und fast immer bleiben sie ohne Folgen. Das ist das eigentlich Traurige daran. Denn einen Radiorat, der – ähnlich dem Presserat für Zeitungen – solche ethischen Verstöße öffentlich rügen oder ahnden würde, gibt es nicht. Und schlimmer noch: Es gibt generell kaum Regelwerke für Radiomacher, die erklären, was redlich und was fragwürdig ist. Die meisten Radiostationen in Deutschland kommen ohne Redaktionsstatuten und Ethik-Guidelines aus. Und so gut wie nie gibt es Ethik-Beauftragte oder Ombudsleute in den Sendern. Dabei wäre das wesentlich, um Fehlentwicklungen früh zu bemerken. Kein Wunder also, dass Klaus Beck, Susanne Voigt und Jana Wünsch in der bislang einzigen Studie zur Medienethik im Hörfunk uns Radiomachern ein nur "mangelndes Problembewusstsein" für ethische Fragen attestieren.
Doch das kann sich ändern. Und das muss sich ändern. Nicht "nur" weil unsere Hörer Aufrichtigkeit verdient haben, auch weil Glaubwürdigkeit die Überlebensgarantie eines jeden Mediums ist. Gerade die vielen Hörfunker, die ihr Handwerk aufrichtig und korrekt ausüben, müssen deshalb für klare Regeln werben. Mit fair radio versuchen wir genau das: Wir stellen angeblich "normale" Methoden in Frage. Wir geben Tipps, wie man Fragwürdiges vermeiden kann. Wir lehren den Radionachwuchs kritisch zu sein. Unser Ethik-Fragenkatalog mit ganz praktischen Tipps für die üblichen ethischen Grenzfälle im Radio gehört zu den meist geklickten Seiten unseres Internetangebots. Das freut uns. Denn Ethik muss gelebt werden. Auch im Radio. Und sei es nur, dass wir uns vor jeder Sendung fragen: Könnte sich ein Hörer durch das, was wir hier machen getäuscht, hinters Licht geführt, betrogen fühlen? Ja? Dann lass ich's lieber.
Linktipps für Radiomacher, die Rat in medienethischen Fragen suchen:
Der Ethik-Fragenkatalog der Initiative fair radio:
www.fair-radio.net/www/ethik-faq/
Die Fallsammlung radioethischer Zweifelsfälle:
http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/hoerfunker/74402/ethik-in-der-radio-praxis
Das Radio-Guidebook des Projektteams Hörfunk der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb:
http://www.bpb.de/system/files/pdf/16XIQF.pdf
nach oben |