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Titelstory von:
Prof. Dr. Manfred Krafft
Bild: © carölchen photocase.de

 

 
   

 

Prof. Dr. Manfred Krafft, Jahrgang 1963, ist Direktor des Instituts für Marketing an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Nach einer Bankausbildung hat er über den zweiten Bildungsweg BWL in Lüneburg und Oslo studiert, wurde an der Universität Kiel promoviert und habilitierte dort auch zum Thema Kundenbindung und Kundenwert. Seine erste Professur übernahm er an der privaten Business School WHU in Vallendar, und 2003 folgte er dem Ruf auf den renommierten Lehrstuhl von Professor Meffert in Münster. In seiner Freizeit engagiert sich Manfred Krafft ehrenamtlich in der Neuapostolischen Kirche. Mehr über sein Institut unter www.marketingcenter.de/ifm.  
   

 

 

 

 

 

 

Gewonnen, verloren … wie Kirche um Gläubige wirbt

Aspekte der Kundengewinnung, -bindung und –reakquisition sind Gegenstand systematischer Prozesse, Strukturen und Aktivitäten, die von Unternehmen im Rahmen ihres sogenannten Kundenmanagements behandelt werden. Eine besondere Rolle kommt der Frage zu, wann Kunden als gefährdet oder inaktiv anzusehen sind. Wenn Kunden dazu tendieren, ihre Beziehung zum Unternehmen einzustellen, wird oft mit Maßnahmen der Abwanderungsverhinderung (der sogenannten „churn prevention“) reagiert. Aber sind derart nüchterne Überlegungen aus dem Management und Marketing für religiöse Institutionen opportun? Und inwieweit können Kirchen von Erfahrungen erfolgreicher Unternehmen lernen?


Der Anfang vom Ende der Beziehung


Während in vertraglichen Beziehungen durch ausgesprochene Kündigungen eindeutig ist, wann eine Beziehung beendet ist, sind die meisten Geschäftsbeziehungen nicht vertraglicher Natur. Und in diese Kategorie fällt auch die Zugehörigkeit zu Glaubensgemeinschaften, die im Sinne einer Verbundenheit viel früher endet als die formelle Mitgliedschaft. So sind in Deutschland etwa 60% aller Menschen Christen im Sinne einer Mitgliedschaft in christlichen Denominationen, also fast 50 Millionen Menschen. Leere Kirchengebäude an Sonn- und Feiertagen signalisieren uns jedoch, dass die Anzahl der aktiv am Gemeindeleben beteiligten Christen sehr viel geringer ist. Daraus ergibt sich die erste Schwierigkeit: Wann eigentlich kann davon die Rede sein, dass Gläubige aktiv oder inaktiv sind? Erfahrungen aus Studien zeigen, dass diese Frage nur auf individueller Ebene beantwortet werden kann. Wenn ein Mitglied regelmäßig zu kirchlichen Hochfesten und dann noch ein, zwei Mal im Jahr Gottesdienste besucht, kann dies ein Indiz einer sehr stabilen Mitgliedschaft sein. Ein anderes Mitglied, das bisher sonntäglich Gottesdienste besuchte, aber seit zwei Monaten nicht mehr in der Kirche war, könnte dagegen inaktiv geworden sein. Neben der individuellen Frequenz und Rhythmik spielt zudem die Intensität der Beziehung eine Rolle – die Mitwirkung in Gemeindeaktivitäten (Chor, Bibelstunden, Leiten von Krabbelgruppen etc.) deutet auf eine innere Beteiligung hin, während das reine Konsumieren von Gottesdiensten und Messen schnell mit innerer und anschließend äußerer Distanz einhergehen kann.


Wie Unternehmen ihre Kunden binden

Nach der erfolgreichen Gewinnung neuer Kunden versuchen Unternehmen, diese oft noch labilen Geschäftsbeziehungen zu stabilisieren. Oft werden nach dem ersten Abschluss Befragungen per Telefon oder Mail durchgeführt, um die Zufriedenheit mit der Beratung, dem Produkt und der Nachkaufphase zu messen. Dabei aufgedeckte Defizite sollten dann zeitnah beseitigt werden, um diesen „Moment der Wahrheit“ aus Kundensicht positiv zu überdauern. An diese Phase schließt sich das eigentliche Kundenbindungsmanagement an, in dem es um die Verstetigung der Beziehung und deren Ausbau geht. Dabei können sich immer wieder Gefährdungsphasen ergeben, in denen der Kunde seine Entscheidung für ein Unternehmen überdenkt, weil bspw. Leistungen nicht wie erwartet erbracht wurden, Wettbewerber attraktive Angebote unterbreitet haben oder der Kunde nach Abwechslung strebt. Auf diese Gefährdungsphasen gehe ich später noch ein. Zur Stabilisierung und Intensivierung der Geschäftsbeziehungen werden loyalitätssteigernde Maßnahmen eingesetzt, etwa in Form regelmäßiger Kundenzeitschriften oder mit Hilfe von Kundenkartenprogrammen. Auch das systematische Anbieten höherwertiger (Up-Selling) oder verwandter Produkte (Cross-Selling) fällt in diesen Bereich.


Wie gehen Kirchen mit neuen oder langjährigen Mitgliedern um?

Entschließen sich Eltern, ihre Kinder taufen zu lassen, oder Jugendliche und Erwachsene entscheiden sich, Mitglied einer Glaubensgemeinschaft zu werden, herrscht oft Freude in der aktiven Gemeinde. Aber es stellt sich die Frage, ob dieser erste Schritt wirklich einen Einstieg in die Gemeinde bedeutet oder möglicherweise dem Anfang vom Ende gleichkommt. Im Laufe des individuellen Lebenszyklus von Kirchenmitgliedern gibt es mehrere kritische Momente, die eine Chance für ein intensiveres Engagement darstellen, zugleich aber auch die Gefahr beinhalten, dass Distanz aufkommt. Bindung zur Kirche entsteht in erster Linie durch persönliche Zuwendung und innere Anteilnahme sowie die Beteiligung der Mitglieder an Gemeindeaktivitäten. Die Intensität der Bindung spiegelt sich dabei wider im Engagement in Bastelgruppen, Unterrichten, Gesprächsrunden, musikalischen Aktivitäten, Ausflügen, der Mitgestaltung von Gottesdiensten, der karitativen Mitwirkung oder dem Erleben christlicher Gemeinschaft in Gottesdiensten und Messen. Als „kritischen Moment“ möchte ich die Phase der Vorbereitung auf die Konfirmation, Kommunion bzw. Firmung nennen – fast gezwungener Maßen kommen junge Menschen mit Gleichaltrigen, aber auch mit der Glaubensgemeinschaft in Kontakt, deren Mitglied sie sind. Gelingt es den Betreuern in dieser Phase, Interesse am Glauben und Freude in der Gemeinschaft zu vermitteln, wird ein Fundament geschaffen, das lange nachwirken kann. Werden dagegen in dieser kritischen Zeit der Glaube und die Gemeinde als langweilig und anachronistisch wahrgenommen, wird ein junger Christ zumindest innerlich auf Abstand gehen, und diese Chance ist vertan. Ähnliche kritische Momente sind kirchliche Hochfeste, Trauungen, Kindstaufen, Ehejubiläen oder Trauerfeiern. Präsentieren sich die Gemeinden und die verantwortlichen Seelsorger bei diesen Gelegenheiten als engagiert und lebensnah, und wird die gesamte Atmosphäre als positiv empfunden, kann ein passives Mitglied ggf. neues Interesse am Glauben entwickeln.

Aus dem Vorgehen von Unternehmen im Kundenmanagement können Kirchen lernen, dass zu Beginn einer Mitgliedschaft schnell die Befindlichkeit oder Zufriedenheit der neuen Gemeindemitglieder überprüft werden sollte, bspw. durch ein persönliches Gespräch ein paar Wochen nach dem Eintritt. Statt Kundenzeitschriften können Gemeindebriefe eingesetzt werden, um das aktuelle Angebot und die Vielfalt der Aktivitäten allen Mitgliedern nahezubringen. Ein Treueprogramm in Kirchen ist sicherlich schwer vorstellbar, wenngleich die Fairview Baptist Church schon im Juni 1957 ein vergleichbares Konzept umsetzte. Denkbar ist vielmehr, dass besonderes freiwilliges Engagement in angemessener Form gewürdigt wird, wie dies etwa bei der Verabschiedung von Lehrkräften oder langjährigen Chormitgliedern gang und gäbe ist. Im gewissen Sinne wird „Up-Selling“ betrieben, wenn Gemeindemitglieder bewusst gefördert werden, bspw. wenn Mitglieder mit musikalischem Talent ermuntert werden, im Kirchenchor mitzuwirken, im Instrumentalspiel gefördert oder später zu Dirigenten ausgebildet werden. „Cross-Buying“ findet bei engagierten Mitgliedern oft wie von selbst statt, wenn zusätzliche Aufgaben übernommen werden. Hierbei ist zu beachten, dass diese freiwilligen Aufgaben niemanden überfordern, also einzelne Mitglieder nicht überlastet werden mit Tätigkeiten, die möglichst auf viele Schultern zu verteilen sind.


Wie sorgen Unternehmen der Kundenabwanderung vor?

Im traditionellen wie digitalen Handel, dem Finanzdienstleistungsbereich und in der Telekommunikationsbranche sind Unternehmen schon seit Jahren bemüht, Abwanderungstendenzen frühzeitig aufzudecken und diesen entgegenzusteuern. Da Anbieter in diesen Bereichen oft mit sehr großen Kundenstämmen arbeiten, muss dies durch umfassende und intelligente Daten- und Analysesysteme unterstützt werden. Das Beispiel zum Aktivitätsniveau von Gläubigen hat bereits verdeutlicht, dass dabei insbesondere die individuelle Häufigkeit und Rhythmik von Transaktionen, aber auch deren Intensität zu betrachten ist. So verfolgen Unternehmen wie E-Plus, Telekom oder Vodafone mit Hilfe komplexer Algorithmen, inwieweit sich die Nutzung von Mobilfunkdiensten über die Zeit verändert: Häufigere und längere Gespräche mit Empfängern im selben Netz sprechen für eine hohe Bindung, eine abnehmende Gesprächsanzahl und –dauer  oder ein häufigeres Telefonieren mit Kunden in „Fremdnetzen“ (also mit Klienten der Wettbewerber) löst dagegen Alarmsignale aus, dass diese Beziehungen ggf. gefährdet sind. Ähnliche Überlegungen stellen Banken, Fluglinien, Autovermieter oder Hotelketten an. Der möglichen Abwanderung wird durch besonders vorteilhafte Angebote entgegengewirkt, die bei vertraglichen Beziehungen von den Unternehmen aber gern mit der Verlängerung der Laufzeiten von Verträgen verbunden werden. Und sofern keine Daten aus vertraglichen Beziehungen gespeichert werden dürfen, bedienen sich die Unternehmen mehr oder weniger attraktiver Kundenkartenprogramme, die oft primär dazu dienen, dass über eigentlich anonyme Kunden dennoch Informationen gesammelt werden können. Die auch als Kompensation für diese Bereitschaft zu verstehenden Treueprämien, sich zu offenbaren und gläsern zu machen, entfalten dabei als weiteren Effekt eine loyalitätssteigernde Wirkung der Kunden.


Wie können Kirchen Abwanderungsneigungen entdecken und dem entgegenwirken?

Die Beziehung gläubiger Menschen zu ihrer Kirche und ihrem Glauben ist von der Sache her fundamental anders als die beschriebenen Geschäftsbeziehungen – Glaube ist weder ein Produkt noch eine Dienstleistung, und eine Kirche stellt zwar eine Institution dar, aber seriöse Glaubensgemeinschaften weisen nur im Ansatz Ähnlichkeiten mit Unternehmen auf. Dennoch kann festgehalten werden, dass die Rhythmik der Inanspruchnahme und Intensität der Teilnahme des Gläubigen an kirchlichen Angeboten wichtige Indikatoren des „Pulsschlags“ von Mitgliedern einer Glaubensgemeinschaft darstellen. Wichtig ist auch der Zeitpunkt des letzten Engagements eines Gläubigen, ganz gleich, welcher Art diese Mitwirkung war. Als Daumenregel deutet ein Abweichen der mittleren Rhythmik der Gottesdienstteilnahme von 50% auf eine Abwanderung hin: Erschien ein Gemeindemitglied bisher stets alle zwei Monate zum Gottesdienst, und der letzte Besuch ist drei Monate her, deutet dies auf eine zumindest temporäre Inaktivität hin. Mir ist nicht bekannt, dass Kirchen mit derartigen Überlegungen ihren aktiven Mitgliederbestand danach beurteilen, ob es sich um aktive, bedrohte, schlummernde oder inaktive Beziehungen handelt. Wenn aber engagierte Gemeindemitglieder oder Seelsorger einen Blick für die Mitglieder ihrer Gemeinde haben und feststellen, dass sonst regelmäßig Beteiligte seit geraumer Zeit nicht mehr an Gottesdiensten oder Messen teilgenommen haben, stellt der kurze Anruf mit der Frage, ob alles in Ordnung sei oder Unterstützung und Begleitung in besonderen Lebensphasen gewünscht wird, nichts anderes dar als eine Reaktivierungsmaßnahme im beschriebenen Sinne. Im Bereich der kirchennahen Spendenorganisationen werden – wie in der gesamten Charity-Branche – derartige Betrachtungen dagegen systematisch und für den gesamten Bestand angestellt, um die begrenzten Budgets für Mailingkampagnen optimal auf potenzielle Spender aufzuteilen.


Abschließende Bemerkungen

Ich habe versucht, Anknüpfungspunkte für Kirchen zu finden, was sie aus Überlegungen des Kundenmanagements über die Behandlung von Gemeindemitgliedern lernen können. Ich möchte abschließend aber nochmals hervorheben, dass individueller Glaube und ein persönliches, inneres Beteiligtsein des Christen an kirchlichen Aktivitäten fundamental andersartig sind als die Verbundenheit eines noch so überzeugten Kunden zu einem Unternehmen. Dem Gläubigen geht es primär, wenn nicht ausschließlich um Erfüllung im Diesseits und Vorbereitung auf ein Leben nach dem Leben. Und individuelle Zuwendung und persönliche Seelsorge durch Geistliche ist nicht vergleichbar mit noch so intensivem Service durch kundenorientierte Mitarbeiter. Lernen können Kirchen gleichwohl von erfolgreichen Ansätzen von Unternehmen, die kundenzentriert aufgestellt sind und Verhaltensmuster sowie Einstellungen ihrer Kunden laufend beobachten, um Abwanderungstendenzen aufzudecken und frühzeitig gegenzusteuern. In der Gemeinde vor Ort können engagierte Seelsorger, Kirchenmitarbeiter und ehrenamtliche Kräfte durch feinfühliges Begleiten des einzelnen Gläubigen dafür sorgen, dass die Bindung an die Gemeinde und die Identifikation mit der Kirche vertieft wird und die Mitglieder stets das Gefühl haben, in der Gemeinde Zuflucht zu finden, verstanden zu werden und sich einfach wie zu Hause fühlen zu dürfen. Einen interessanten Ansatzpunkt für große kirchliche Organisationen sehe ich in der stärkeren Einbindung ehrenamtlicher Kräfte, die zum einen selbst durch ein intensiveres Engagement an die Gemeinde gebunden werden, zum anderen aber auch auf Gemeindemitglieder überzeugender wirken als hauptamtliche Seelsorger und zudem eher in der Lage sind, den Blick für den einzelnen Gläubigen zu bewahren.

 

 

nach obeN

     
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