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Text: Dr. Thomas H. Böhm  

Dr. Thomas H. Böhm, arbeitet seit 2010 als Dekanatsreferent in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und ist dort für zwei Dekanate im Norden der Diözese zuständig. Er hat vorher selbst u.a. im Medienbereich als Verlagslektor gearbeitet. Nicht nur in seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Praktische Theologie der Universität Innsbruck bis 2006 hat er sich mit vielen Medienthemen auseinandergesetzt – insbesondere mit der Frage der Präsenz von Kirche in den Medien und dem Phänomenen einer „Medienreligion“. Er ist nicht nur Theologe, sondern hat auch eine Ausbildung in Öffentlichkeitsarbeit und Marketing.

 
   
 

 

 

 

„Herr Böhm, glauben Sie, dass es einen kirchlichen Analphabetismus gibt, wenn Kirche mit Journalisten kommuniziert und wenn auf der anderen Seiten Journalisten mit und über Kirche kommunizieren? Gibt es auf der kirchlichen Seite eine Medienangst und auf der journalistischen eine atheistische, kirchenferne Grundeinstellung? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?“

Von einem „kirchlichen Analphabetismus“ möchte ich nicht sprechen, wenn man damit – so die „analoge“ Auskunft des Brockhausʹ – die „mangelhaft oder fehlende Kenntnis oder Beherrschung des Lesens und Schreibens“ versteht. Die Medienabteilungen der Diözesen waren wohl noch nie so groß und haben noch nie so professionell gearbeitet wie heute. Bischöfe werden für den Umgang mit den Medien geschult und das Internetportal www.pfarrbriefservice.de etwa bietet fundierte Hilfe für Redaktionen von Gemeindebriefen an.

Kann angesichts dieser breiten Initiativen von „kirchlichen Analphabetismus“ die Rede sein? Ich glaube nicht: Das „Handwerkszeug“ für den Medienbereich wird auch innerhalb der Kirche(n) breit vermittelt und meist professionell angewandt.

Jenseits des Analphabetismus: Respektvoll und offen Kommunizieren

Doch das hier angesprochene Problem sitzt tiefer. Es betrifft aber nicht nur die Schwierigkeiten, die die Kirche mit den Journalisten hat – oder umgekehrt –, sondern jede Form der Kommunikation. Denn gelingende Kommunikation – sei sie so oder so medial vermittelt – ist nicht selbstverständlich. Sie ist immer „gefährdet“, sie bleibt ein „Risiko“. Damit sie gelingt, ist nicht nur „Handwerkszeug“ notwendig, sondern noch vieles anderes: die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören, ihn verstehen zu wollen und auf ihn konkret zu antworten; die Fähigkeit, die eigenen „Denkmuster“ zumindest bis zu einem gewissen Grad auf den anderen einzustellen; die Offenheit, sich anfragen zu lassen…

Die oben gestellte Frage würde ich gerne in den eben skizzierten Gesamtzusammenhang stellen. Wenn der Respekt vor der Kommunikation, der notwendig ist – denn jede wechselseitige Kommunikation ist „Wagnis“ –, lähmt, dann stellt sich Angst bzw. Medienangst ein.

Dass Kirche von dieser Angst besonders betroffen ist, ist plausibel. War sie es doch lange Zeit gewohnt, im „Verlautbarungsstil“ zu kommunizieren und sie ist deshalb für eine dialogische Kommunikation, die sich auch „aussetzt“, nur beschränkt gerüstet. Insbesondere die katholische Kirche (fokussiert auf ein enges Verständnis von Lehramt) verstand sich lange als alleinige Vermittlerin der Wahrheit. Traditionsbedingt ist sie deshalb auch weniger gewohnt, die vorausgehende Anerkennung der Andersheit des Anderen als konstitutiv für gelingende Kommunikation anzusehen. Setzt Kirche dies nicht oder nur halbherzig voraus, liegt schnell der Vorwurf nahe, der andere sei kirchenfern oder atheistisch.

Produktive Spannung: Gegensätze ermöglichen Neues

Das Ernstnehmen des Anderen in seiner Eigenheit ist grundlegende Voraussetzung für die Kommunikation in der modernen Gesellschaft. Sie eröffnet Kirche, wenn sie sich wirklich darauf einlässt, die große Chance, ihre eigenen Standpunkte zu überdenken oder auch zu profilieren. Sie entdeckt so Dinge und „Wahrheiten“, die ihr unter Umständen sonst verschlossen geblieben wären. Ängstlich der Kommunikation mit Journalisten auszuweichen ist deshalb der falsche Weg. Vor einer – vermeintlichen oder echten – Kirchenferne der anderen und der Medienschaffenden brauchen Kirchenleute keine Angst zu haben. Denn gerade die „von außen“ kommenden Fragen können dazu beitragen, das eigene Selbstverständnis zu reflektieren, zu vertiefen und heute neu sprachfähig zu werden.

Der „Missbrauchsskandal“ aus dem Jahr 2010 erhielt nicht zuletzt durch die mediale Berichterstattung seine Dynamik. Das war zunächst für die Kirche nicht nur nicht angenehm, sondern zutiefst schmerzlich. Doch wohl nur so konnte klar(er) werden, dass es in der Öffentlichkeit nicht um den Schutz der Organisation „Kirche“ geht, sondern um die Frage, wie das Evangelium als frohe Botschaft in Wort und Verhalten in der jeweiligen Zeit präsent wird. Und dabei spielt eben der angemessene, faire und positiv fördernde Umgang mit Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle.

Andererseits kann Kirche ihre Medienangst produktiv transformieren und den Respekt vor dem Kommunikationsgeschehen an sich, das eben nicht allein „handwerklich“ und von vorneherein „machbar“ ist, zum allgemeinen Thema machen. Denn die Grundbedingungen moderner – medialer und nicht-medialer – Kommunikation betreffen nicht nur die Kirche, sondern alle. Die Frage nach der Verständigung über „Sprach-“, Mentalitäts- und Milieugrenzen aller Art hinweg ist nicht nur ein „pfingstliches“ und kirchenjahrinternes Thema, sondern betrifft gerade heute unsere ganze Gesellschaft.

Alphabetisierung ist zu wenig: Wirklich ins Gespräch kommen

Gute Kommunikation braucht mehr als die Fähigkeit, sich der medialen und kommunikativen Möglichkeiten angemessen zu bedienen. – Ich möchte das Gesagte mit einem Beispiel aus meinem aktuellen Aufgabenfeld verdeutlichen. Wenn ich für die Öffentlichkeitsarbeit zweier Dekanate verantwortlich bin, so ist die gelingende Pressearbeit das eine. Im lokalen Kontext der Landkreise gelingt es in der Regel recht gut, Pressemeldungen in den regionalen Medien „unterzubringen“ – wenn man das entsprechende „Handwerkszeug“ einigermaßen beherrscht.

Spannender und wirklich kommunikationsfördernder – weil letztlich haltungsverändernd – ist aber etwas anderes. Hier könnte es beispielsweise darum gehen, bei der alle ein oder zwei Jahre stattfindenden Pressenachfrage nach den Austrittszahlen oder dem Prozentsatz der sonntäglichen Gottesdienstbesucher, mit Journalisten wirklich ins Gespräch zu kommen; dabei aufzuzeigen, wie uns die momentane Entwicklung zwingt, Kirche neu und anders zu denken. Aber hier wäre auch wichtig, dass ich durch die kritischen Nachfragen dazu angehalten werde, mir die kirchliche Wirklichkeit nicht allzu schnell wieder argumentativ „zurechtzubiegen“. Denn manchmal hilft zunächst auch nur das nicht beschönigende Aushalten einer Situation weiter, um zu wirklich neuen und tragfähigen Antworten zu kommen.
Diese gegenseitige Herausforderung, die Kommunikation bietet, möchte ich nicht vermissen. Sie ist herausfordernd. Diese Kommunikation kann und wird auch immer wieder scheitern. Ich habe Respekt davor. Doch an ihr führt heute für Kirche und Gesellschaft kein Weg vorbei.




nach obeN

     
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