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Im Interview:
Christoph Krachtem

 

 
   

 

Christoph Krachten, ist als Mitgründer und Präsident von Mediakraft Networks einer der erfolgreichsten Online-TV-Produzenten Deutschlands. Nachdem er viele Jahre als TV-Journalist und Produzent gearbeitet hatte (u.a. für WDR, RTL), erkannte er als einer der ersten professionellen Medienmacher in Deutschland das Potenzial von Online- Video. 2009 startete er seine Online-Show "Clixoom", die zu einem der erfolgreichsten Infotainment-Formate der deutschsprachigen Online-TV Community auf YouTube wurde. Aufbauend auf diesen Erfahrungen gründete er 2011 Mediakraft Networks, heute einer der führenden Online-TV-Sender in Mitteleuropa.

 
   

 

 

bewegt/unbewegt: Kirche und Glaube auf YouTube

Was ist für Sie YouTube?

YouTube ist eine Plattform, die erstmalig jedem ermöglicht, ein großes Publikum zu erreichen, mit allem, was er veröffentlichen möchte. Es geht um Information, Unterhaltung, Service. Aber es geht auch um Weltanschauungen. YouTube ist eine tolle Diskussionsplattform. Dazu kommt das Voting, also Liken und Disliken, die Kommentare und die Diskussion miteinander in einer ganz großen Community. Das ist großartig. Es eröffnet meiner Meinung nach der Gesellschaft völlig neue Möglichkeiten des Diskurses. Ich bin sehr gespannt drauf, was da alles noch passieren wird.

YouTube erzählt Geschichten, aber YouTube hat selbst auch eine Geschichte. Wie würden Sie die Geschichte von YouTube erzählen?

YouTube ist an den Start gegangen mit dem Slogan "Broadcast Yourself". User sollten ihre Geschichten erzählen. Aber dann hat sich schnell eine Bewegung der Professionalisierung gezeigt. Bestimmte Menschen merkten, dass sie YouTube als professionelle Plattform nutzen und dort selber gezielt Inhalte publizieren können.
Hinzu kam, dass YouTube die Chance bot, mit der Plattform Geld zu verdienen. Inzwischen ist YouTube mit Abstand zur größten Videoplattform und zur zweitgrößten Suchmaschine der Welt geworden.

Das muss man sich vorstellen. Die zweitgrößte Suchmaschine ist gar keine reine Internetsuchmaschine, sondern eine Suchmaschine, die nur Videos auf der eigenen Plattform sucht. Dadurch hat YouTube eine riesige Bedeutung erlangt und ist zu einem Massenmedium geworden. Das ist eine Entwicklung, mit der im Internet oder für das Internet vor zehn Jahren niemand gerechnet hat.

Glauben Sie, dass YouTube das Fernsehen verdrängen wird oder hat es das schon verdrängt?

Bei bestimmten Zielgruppen hat es das Fernsehen schon verdrängt. Vor allem junge Leute sehen weitaus mehr YouTube als Fernsehen.
Für mich ist YouTube Teil der Veränderung in der Medienwelt. Nehmen Sie das Beispiel Video-on-Demand. Das heißt, Filme sehen, wann ich will und wo ich will. Video-on-Demand wird immer selbstverständlicher. YouTube ist ein bedeutender Bestandteil von Video-on-Demand. Es gehören aber inzwischen auch Facebook, Amazon, Netflix,  Watchever dazu. Also ganz viele Anbieter drängen auf diesen Markt mit ganz unterschiedlichen Inhalten. In Zukunft wird keiner mehr darauf warten, dass eine Fernsehsendung oder irgendein Film zu einer bestimmten Uhrzeit anfängt.

Ein weiterer, großer Vorteil von YouTube: Es gibt eine Interaktion mit den Zuschauern, sie können Kommentare abgeben und Kommentare von anderen kommentieren. Das zeigt, welche Bedeutung YouTube auch als soziales Medium hat. Während Fernsehen nur ganz bestimmte Zeiten im  Tagesablauf einnimmt, sind alle sozialen Medien, auch YouTube, ein ständiger Begleiter. Und das im Bereich Unterhaltung und Information.

Was sind die Kriterien, die eine gute Kommunikation auf YouTube und über YouTube auszeichnen?

Die Antwort steckt eigentlich schon in der Frage: Es ist Kommunikation. Während Fernsehen bisher ein Einwegmedium war, man ein Video oder eine Fernsehsendung veröffentlichte, die Zuschauer sich hingesetzt und die Hände in den Schoß gelegt haben, um Fernsehen zu schauen, läuft das bei den sozialen Medien und eben auch bei YouTube ganz anders.

Es gibt zum Beispiel auf YouTube einen großen Life-Style-Fashion-Kanal, deren Betreiberin sagt: „Wenn das Video fertig ist, fängt die Arbeit erst an." Weil es dann nämlich los geht mit der Interaktion mit den Zuschauern; man beantwortet Kommentare, twittert, postet auf Facebook oder lädt auf Instagram Fotos und kurze Filme hoch.

Ich bin als YouTuber also in einem ständigen Austausch mit dem Publikum. Das ist eine komplett neue Dimension. In den sozialen Medien, speziell auf YouTube, gibt es eine deutlich größere Nähe zum Zuschauer, die sich darin zeigt, dass man mit dem Zuschauer diskutiert, Anregungen der Zuschauer aufnimmt und ins Programm umsetzen kann. Und das viel schneller, als im Fernsehen. Klassisches Fernsehen müsste dafür erst einmal die Marktforschung bemühen. YouTube hat unglaubliche Auswertungsmöglichkeiten. Man kann zum Beispiel sehen, wie lange die Zuschauer ein Video ansehen und an welcher Stelle sie abspringen. Aber nicht nur das: Die Kommentare der Zuschauer verraten auch, wie sie ein Video beurteilen. Und das ist für die Macher eine einmalige Chance, sich ständig zu verbessern und die Kommunikation mit den Zuschauern zu optimieren. Ein Video auf YouTube ist keine Einwegkommunikation, sondern eine wirkliche Kommunikation, eine Zweiwegkommunikation. Sie ist die Aufnahme der Diskussion und die Unterhaltung mit dem Zuschauer.

Es gibt den Moment des Kontrollverlustes über die Wirkung der eigenen Sendung. Welche Erfahrung haben Konzerne und Organisationen mit diesem Kontrollverlust über das Publikum?

Also den Kontrollverlust habe ich schon immer gehabt. Es war eine falsche Vorstellung zu glauben, diesen Kontrollverlust nicht zu haben. Früher hat die Diskussion zu Hause, am Arbeitsplatz oder auf den Schulhöfen stattgefunden, und man hat sie vielleicht in der Öffentlichkeit nicht direkt mitbekommen. Aber natürlich sind auch früher schon unter den Zuschauern Meinungen zu einer Fernsehsendung entstanden.

Heute sind solche Diskussionen immer öffentlich. Das ist der Unterschied und der große Vorteil zugleich. Ich sehe, was meine Zuschauer von dem halten, was ich denke. Und ich bin der Meinung, es ist ein ganz großer Vorteil, dass jeder an der Diskussion teilhaben kann. Alles wird diskutiert. Das sehe nicht als Kontrollverlust, sondern als zusätzliche Chance und Möglichkeit. Jeder Konzern, jede Organisation, die diese Möglichkeit genutzt hat, ist gestärkt daraus hervorgegangen. Es gibt ja auch Konzernbewertungen nach sozialen Medien. Alle Konzerne, die in den sozialen Medien gut aufgestellt sind und wirklich mit dem Zuschauer und Nutzer kommunizieren, erzielen damit riesige Erfolge. Wer das nicht tut und Angst vor dem Kontrollverlust hat, der wird verlieren. Für Organisationen ist es eine große Chance und eine fantastische Möglichkeit, mehr zu erreichen.

Wenn wir einen Blick nach vorne werfen: Was glauben Sie, was kommt nach YouTube?

Wir sind gerade in einer riesigen Medienrevolution, die eine komplette Veränderung der Medienlandschaft bewirkt. Wir wissen überhaupt nicht, wo das hinführt oder wer in Zukunft die großen Player sind. Es ist nur sehr schwer vorhersehbar, was danach kommt. Das ist, als hätte man damals in den 80er Jahren bei der Einführung des Privatfernsehens gefragt: "Was kommt denn nach dem Privatfernsehen?". Das konnte niemand vorhersehen. Selbst vor fünf Jahren hat niemand das für möglich gehalten, was jetzt passiert. Also: Der Blick in die fernere Zukunft, ist meines Erachtens unmöglich.

Sprechen wir über Glaube, Kirche und religiöse Dinge: Wo erleben Sie die Kommunikation religiöser Geschichten auf YouTube?

Also, konkret Religiöses erlebe ich wenig. Aber es geht stark um Lebenseinstellungen, um Lebensmodelle, um Fragen: Wie lebe ich? Wie ernähre ich mich? Was ist vegane Ernährung? Wo geschieht Unrecht? Wie schütze ich meine Umwelt? Wie gehe ich mit Tieren um?  Wie entwickelt sich meine Welt? Und das ist wichtig, auch für sehr junge Zielgruppen, die sich in der Orientierungsphase befinden.
Es gibt immer wieder Videos, bei denen es um Weltanschauungen geht, und die eine sehr große Reichweite haben, aber meistens bewegen sie sich im Bereich von gezielten Kampagnen. Oftmals entfalten sie aber eine irrsinnige Wirkung die auch kritisch hinterfragt werden sollte. Und ich glaube, auch da sind wir erst am Anfang. Es gibt Videos, die eine tolle Wirkung erzielen, weil sie wirklich den Zuschauer erreichen. Und das sind unglaubliche Möglichkeiten. Ich glaube, es gibt noch riesige Potentiale.

Auf YouTube gibt es auch radikale Prediger und den Missbrauch durch religiös motivierte Terrorgruppen. Wie ist das zu beurteilen?

Da sehe ich eine große Chance für ein kritisches Medienpublikum. Keiner kann sagen „Das ist wahr, das habe ich im Internet gesehen oder gelesen“.Denn es gibt nicht mehr "die Wahrheit", sondern ich muss alles sehr kritisch begutachten und hinterfragen. Auch journalistische Recherchen in Zeitung und Fernsehen werden immer ungenauer und oberflächlicher.

Aber deshalb ist es so wichtiger, dass wir junge Menschen entsprechend schulen. Wir benötigen eine dringend eine gute Medienbildung im Schulunterricht. Darauf warte ich persönlich schon seit 30 Jahren, und noch immer ist nichts passiert. Medienbildung ist wahnsinnig wichtig. Das fängt eben schon an "Wie gehe ich mit Facebook um? Was ist Privatsphäre? Was ist wirklich privat? Was darf ich veröffentlichen? Was darf ich nicht veröffentlichen? Und was darf ich glauben, was darf ich nicht glauben? Da müssen wir ganz dringend etwas in den Schulen tun. Wir brauchen ein viel kritischeres Publikum, das viel mehr hinterfragt, und das in der Lage ist, Dinge kritisch zu bewerten.

Würden Sie Bischöfen und anderen Führungskräften der Kirche raten, einen eigenen YouTube-Kanal zu eröffnen und da auch von sich zu erzählen?

Es kommt drauf an. Es gibt, wie in jedem Medienbetrieb Menschen, die Talent haben und beim Publikum ankommen, und es gibt Leute, die haben kein Talent. Ich kann das nicht bewerten. Das macht das Publikum. Es gibt sicher Leute, denen ich sagen würde, vielleicht ist das für dich nicht das richtige Medium. Aber mit Sicherheit gibt es dabei auch Leute, wo man sagt: Was die machen ist super, die können sich klasse mitteilen, die haben das Potential. Es gibt sicher den einen oder anderen in kirchlichen Kreisen, der das kann. Das muss man ausprobieren. Schauen wer wirklich Talent hat. Da YouTube ein junges Publikum hat, sollte man schon beim jungen Publikum ankommen.

Wie beurteilen Sie die Präsenz der offiziellen Kirche auf YouTube?

Meines Erachtens ist sie gar nicht präsent oder, falls doch, nicht besonders gut. Der Wettbewerb 1.31.tv zu den Themen Glaube, Liebe, Hoffnung scheint mir aber ein guter, erster Versuch zu sein. Ich würde sagen: Die Präsenz der offiziellen Kirche auf YouTube ist viel zu schwach.

Wenn Jesus zurückkäme, meinen Sie, er würde seine Gleichnisse auf YouTube verbreiten?

Ja, Jesus würde alles dransetzen, dass er den größten YouTube-Kanal der Welt hätte. Da bin ich mir absolut sicher.

Was würde Jesus auf YouTube wohl erzählen?

Er würde genau das Gleiche erzählen, was er auch sonst erzählt hat, aber er würde zusätzlich filmische Mittel nutzen. Er würde dabei natürlich auch seine starke rednerische Kraft nutzen. Ich glaube, er wäre YouTuber und er wäre ein sehr guter YouTuber. Vielleicht würde er das so machen wie LeFloid. Provokante Thesen, ungewöhnliche Schnitte. Und so würde er dann die Leute wachrütteln.

Welche Vorteile haben denn religiöse Kulturanbieter von YouTube, die sie aus anderen Medien nicht beziehen können?

YouTube hat einen riesigen Vorteil, dass Anbieter ihr Video online stellen können und dieses Video dann immer präsent ist, also immer wieder angesehen werden kann. Das ist im Gegensatz zu allen anderen Medien ein großer Vorteil. Fernsehen wird zu einer bestimmten Uhrzeit auf einem bestimmten Sender gesendet. Wenn es vorbei ist, ist es weg. Die Tageszeitung landet nach einem Tag im Altpapier. Radio wird nur kurz gesendet.

Unternehmen, gemeinnützige Organisationen oder eben Kirche können das Medium YouTube perfekt für sich nutzen. Sie können Inhalte online stellen, die gar nicht unbedingt sofort gesehen werden müssen, sondern die auch im Laufe der Zeit immer wieder ein Publikum finden. Das ist das Tolle, was es in anderen Medien so nicht gibt. YouTube bietet die Chance, sein Publikum zu finden und anzusprechen. Auf Dauer wird Kirche über Video-on-Demand jeden erreichen, der sich für die oben genannten Themen und Fragen interessiert.

 

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