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Titelstory von:
Dr. Christian Klenk
Bild: © weheartit.com | upload: Miss Oh

 

 
   

 

Dr. Christian Klenk, geboren 1977 in Stuttgart, hat nach dem Abitur bei der Cannstatter Zeitung, der Esslinger Zeitung und der Stuttgarter Zeitung als Volontär, Redakteur und Freier Mitarbeiter gearbeitet und anschließend Journalistik an der Katholischen Universität in Eichstätt studiert. Dort ist er seit 2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und unter anderem für die Zeitschriftenausbildung am Journalistik-Studiengang zuständig. 2013 promovierte er mit einer Studie zur Situation und zur Zukunft katholischer Medien in Deutschland (www.delphi-katholische-medien.de). Er ist Redakteur der Fachzeitschrift "Communicatio Socialis", kooptiertes Mitglied im Vorstand der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands und Mitglied im Sachausschuss Medien des Landeskomitees der Bayerischen Katholiken.

 
   

 

 

 

 

 

 

Mit der frohen Botschaft auf Sendung
Die kirchliche Radioarbeit ist eine häufig unterschätzte Form der Verkündigung und Medienarbeit / Von Christian Klenk

Ein Papa für Sorgen und Nöte

„Lieber Big-Pater Ernst, da du eh schon so etwas wie mein Papa für meine Sorgen und Nöte geworden bist, komme ich als Tochter wieder einmal zu dir zurück, um mich bei dir auszuweinen.“ So beginnt Nadine ihre Nachricht an Pater Ernst Kusterer, ehe sie von Zuhause berichtet: „Schon als Kind kämpfte ich immer um die Liebe und um das Verständnis meiner Familie, obwohl ich durch sie viel körperliche und seelische Gewalt erfuhr. Ich habe auch trotz schlimmsten Erfahrungen immer für meine Familie gebetet vor Gott. Doch erneut musste ich ihre Kälte, ihren Egoismus und ihre Selbstverliebtheit feststellen. [...]“ Nadines Zuschrift endet mit den Worten: „Danke für dein Zuhören und Annehmen. Gott segne dich lieber BigPater Ernst!“

Kusterer erhält viele Hilferufe. Jugendliche schreiben dem in Stuttgart ansässigen Ordensmann von den Salesianern Don Boscos E-Mails und Nachrichten auf Facebook, weil sie Liebeskummer haben oder schlechte Noten in der Schule. Sie hinterlassen Botschaften auf der Website, weil sich die Eltern getrennt haben oder die beste Freundin schwer krank ist. Noch häufiger rufen sie an, um mit dem Pater direkt zu sprechen, weil alle Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz erfolglos sind oder weil sie jemanden suchen, mit dem sie über Gott und ihren Glauben sprechen können. Bei Pater Kusterer finden sie Gehör, tröstende Worte, Ratschläge – und immer ein Gebet. Sonntagabends zwischen Viertel vor Elf und Mitternacht ist der Salesianer im Wechsel mit einem evangelischen Pfarrer und einer Pfarrerin bei BigFM zu hören. „Nighttalk“ heißt die Sendung. „Brennt dir etwas auf der Seele, oder willst du eine schöne Erfahrung teilen? Dann ruf einfach an!“, wirbt das Privatradio, das im Südwesten Deutschlands, von Baden-Württemberg bis hinauf nach Köln zu hören ist, auf seiner Website. „Glaube muss nicht ‚verstaubt‘ sein! Wir alle glauben an etwas, wir alle haben manchmal Sorgen, über die wir reden möchten!“

BigFM ist kein Sender, in dessen Programm man weltanschauliche Beiträge vermuten würde. Das Format heißt bei Radiomachern „Contemporary Hit Radio“: „Hot Music“ aus aktuellen Charts, schrille Moderationen, die mit einem „Musikbett“ unterlegt sind, Nachrichten, die auf Schlagzeilen reduziert sind. Das Durchschnittsalter der täglich 2,5 Millionen Hörer liegt bei rund 27 Jahren und damit wie bei allen Jugendwellen höher als die Zielgruppe, die der Sender bei der Programmgestaltung vor Augen hat. Soziologen beschreiben die Zielgruppe als „Hedonisten“ oder „Experimentalisten“. Menschen aus diesen sozialen Milieus und Altersgruppen haben im Alltag in der Regel kaum etwas mit der Kirche am Hut. Wie passen in diese Umgebung Gebete, die Pater und Pastoren über den Sender schicken?

Begonnen hat die ungewöhnliche Zusammenarbeit im Jahr 2000 mit der Sendung „BigPray“. Seither berichten Kusterer und seine protestantischen Kollegen dreimal in der Woche über das Anliegen einer Hörerin oder eines Hörers und formulieren daraus ein Gebet, „dein Update für die Seele“, wie es im Jingle heißt. Die zweiminütigen Beiträge, die von Rundfunkredaktionen der katholischen und der evangelischen Kirche produziert werden, waren von Anfang an ein Erfolg. Bald sollte Kusterer, der wegen seiner Leibesfülle bei den Jugendlichen den Spitznamen Big-Pater hat, Autogrammkarten drucken lassen. BigFM empfand die geistlichen Impulse keineswegs als Fremdkörper im Programm, verstehen es die kirchlichen Moderatoren doch, sich in Sprache und Präsentationsweise an die Gefühlswelten der Hörer anzupassen, ohne anbiedernd zu wirken. (Was die Hörer kaum ahnen dürften: Kusterer geht auf die 70 zu.) Die Anregung, ein weiteres kirchliches Format ins Programm zu nehmen, kam vom Privatsender. Im Jahr 2000 ging der „Nighttalk“ an den Start. Zunächst war die Sendung vorproduziert, später live, was den Aufwand erhöhte. Seither sitzt ein Co-Moderator im Studio, und wegen des Ansturms von Anrufern sortiert eine Redakteurin die Gespräche. Bei ernsthaften psychischen Problemen verweisen die Radiopfarrer auf professionelle Beratungsstellen – sie selbst verstehen sich als Seelsorger.

Garantierte Mitsprache und Mitwirkung der Kirchen

Der „Nighttalk“ ist ein gutes Beispiel für gelungene Glaubenskommunikation im Hörfunk. Doch die Sendung ist nicht die einzige Form kirchlicher Präsenz im Radio. Flächendeckend sind kirchliche Akteure und Themen im Programm von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern. Glaubenskommunikation im Radio ist eine Erfolgsgeschichte, die vor mehr als 80 Jahren ihren Anfang nahm. Die Kirche gehört zu den Hörfunkpionieren. Das neue Medium war gerade erfunden, da ging 1931 Radio Vatikan auf Sendung. Jedoch erkannte nicht nur die Kirche die Wirkmächtigkeit des Rundfunks. Auch Diktatoren vereinnahmten ihn für ihre Zwecke, was wiederum dem päpstlichen Programm zu explosionsartiger Ausdehnung über die ganze Welt verhalf, weil Auslandssender für die Unterdrückten und Eingeschlossenen zur wichtigen Informationsquelle wurden. „Man könnte […] fast makaber sagen, dass die größten ‚Förderer‘ der Ausbreitung von Radio Vatikan die Herren Josef Stalin und Adolph Hitler wurden“ (von Gemmingen 2011, S. 347).

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten auch die Kirchen in Deutschland die Idee, eigene Rundfunksender zu gründen. In Anbetracht des Missbrauchs des Rundfunks durch die Nationalsozialisten war dieser jedoch zunächst nur in öffentlich-rechtlicher Verantwortung möglich. Ein wichtiges Merkmal dieser Organisationsform ist, dass die Aufsicht über das Programm und seine Macher bei Vertretern gesellschaftlicher Gruppen liegt. Wer in den Gremien mitreden darf, das ist in den Rundfunkgesetzen festgelegt. Auch Religionsgemeinschaften zählen zu den gesellschaftlich bedeutsamen Gruppierungen, sie haben daher eine starke Lobby in der Rundfunkaufsicht. Die katholische Kirche, die evangelischen Kirchen und die jüdischen Gemeinden entsenden in die Kollegialorgane der öffentlich-rechtlichen Sender insgesamt 50 Vertreter, die knapp ein Zehntel der Sitze innehaben. In den Kontrollgremien der Landesmedienanstalten, die für die Zulassung und Aufsicht privater Sender zuständig sind, ist die Quote ungefähr genauso hoch (vgl. Klenk 2013, S. 233ff.). Ein Ausdruck sich wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse ist die Neuerung, dass teilweise auch muslimische Vertreter mitsprechen dürfen – im Rundfunkausschuss der Landesmedienanstalt Bremen seit 2012, im SWR-Rundfunkrat von 2014 an.

Die Aufsichtsgremien sollen sicherstellen, dass alle gesellschaftlichen Kräfte im Programm angemessen berücksichtigt werden. Gerade bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, die ja anfangs das Rundfunkmonopol hatten und daher auf größtmöglichen Binnenpluralismus verpflichtet wurden, werden hohe Anforderungen an Vielfalt und Ausgewogenheit bei Meinungen und Themen gestellt. In den Programmgrundsätzen der Anstalten ist dezidiert festgelegt, dass auch Weltanschauungsfragen vorkommen müssen. Über die Quantität und Qualität der Berichterstattung sagt eine solche Vorgabe freilich noch nichts aus. Dies ist Auslegungssache der Redaktionen, die je nach Nachrichtenlage und Relevanz der Ereignisse entscheiden, wann sie über Glaubens- und Kirchenthemen berichten. Programmanalysen zeigen, dass Kirche vor allem mit dem Papst und dessen Reisen, mit Konflikten und Skandalen sowie mit kirchlichen Großereignissen Schlagzeilen macht und es so in die Nachrichtensendungen schafft (vgl. Klenk 2013, S. 227). Papst Franziskus und der Bischof von Limburg waren 2013 die besten Belege für diese These.

Anders als die meisten privaten Radiosender berichten die öffentlich-rechtlichen Anstalten über solche oft schnelllebigen Ereignisse hinaus in speziellen Themensendungen auch hintergründig über weltanschauliche Fragen. Die fachliche Kompetenz dafür stellen Kirchenfunkredaktionen, die rasch nach Gründung der Sender eingerichtet worden waren und zunächst von bischöflich beauftragten Geistlichen unterstützt wurden. Ab Ende der Sechzigerjahre strebten diese Abteilungen danach, sich vom Einfluss der Kirche und ihrer Beauftragten zu lösen, um in eigener Verantwortung und unabhängig ein Programm über religiöse, kirchliche und theologische Themen zu machen. Meist wurden die Kirchenfunkredaktionen in diesem Zusammenhang umbenannt; sie heißen heute etwa „Redaktion Religion und Gesellschaft“.

Kirchliche Senderbeauftragte aber gibt es weiterhin. Sie verantworten und gestalten inzwischen eine weitere Säule religiöser Berichterstattung im Rundfunk: die Verkündigungssendungen. Die (anerkannten) Religionsgemeinschaften haben in Deutschland wie keine andere gesellschaftliche Gruppe das Privileg, sich in Hörfunk und Fernsehen mit eigenen Beiträgen und Sendungen zu präsentieren. Das so genannte Drittsendungsrecht wird aus Artikel 4 des Grundgesetzes hergeleitet: Das Recht auf Religionsfreiheit garantiert den Kirchen zugleich, ihre Glaubensgrundsätze öffentlich zu bezeugen. Und weil der Rundfunk für die gesellschaftliche Meinungsbildung so wichtig ist, muss dies auch über den Rundfunk möglich sein – man denke etwa an kranke oder gebrechliche Menschen, die nur über den Rundfunk am kirchlichen Leben teilhaben können. Juristen argumentieren nun, dass es einem Eingriff in die Religionsfreiheit gleichkäme, wenn die Redaktion eines Senders diese Glaubensverkündigung gestalten und womöglich verfälschen würde. Die Verkündigung wäre nicht mehr authentisch. Daher können, so die Folgerung, religiöse Botschaften nur dann über Hörfunk und Fernsehen verbreitet werden, wenn die Religionsgemeinschaften dies im Rahmen eigener Sendezeiten selbst übernehmen.

Daraus entwickelten sich Vorgaben in nahezu allen Rundfunkgesetzen, demzufolge die Sender dazu verpflichtet sind, den Religionsgemeinschaften „auf Wunsch angemessene Sendezeiten einzuräumen“, wie es etwa in Paragraf 42 des Rundfunkstaatsvertrags heißt, der den Rahmen für den privaten Rundfunk vorgibt. Das Privileg genießen bislang flächendeckend die katholische Kirche, die evangelischen Kirchen und die jüdischen Gemeinden – Sendezeit für Muslime (vgl. Rauch 2013b) oder andere Religionsgemeinschaften sind (noch) die Ausnahme. Folglich bekommen die Hörerinnen und Hörer in den Radioprogrammen zwei unterschiedliche Arten weltanschaulicher Beiträge präsentiert: zum einen das von der Redaktion des Senders verantwortete Programm, in dem immer dann über Religion berichtet wird, wenn die Redaktion der Meinung ist, dass ein Thema relevant ist; zum anderen die von den Kirchen verantworteten Beiträge, die aufgrund des Drittsendungsrechts ihren garantierten Platz im Programm haben. Kritiker bemängeln, dass man oft nicht unterscheiden könne, welcher Beitrag in welche Sparte fällt.

Bedingungen des Mediums und Perspektiven des Glaubens

Schwammig bleiben die rundfunkrechtlichen Regelungen hinsichtlich der Frage, wie das Dritt­sendungsrecht in der Praxis auszugestalten ist. Was versteht man unter „angemessener“ Sendezeit? Wie häufig, in welcher Länge und zu welcher Uhrzeit sollen die Beiträge der Kirchen ausgestrahlt werden? Und wer übernimmt die Produktion in technischer und finanzieller Hinsicht? Diese und andere Fragen sind Inhalt von Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen Diözesen, Landeskirchen und Sendeanstalten. Die Lösungen sind im Detail sehr unterschiedlich.

Etwa zwei Drittel aller von der Kirche zugelieferten Sendungen für die öffentlich-rechtlichen Radioprogramme sind Kurzverkündigungen, die zwischen 90 Sekunden und viereinhalb Minuten dauern. Die Beiträge heißen „Morgenandacht“ (Deutschlandfunk), „Auf ein Wort“ (Bayern3), „Morgengruß“ (SWR4) oder „Das Geistliche Wort“ (WDR5). Sie werden in der Regel in den Studios der Sendeanstalten und auf deren Kosten vorproduziert und morgens, also zur Radio-Primetime, oder am Abend ins laufende Programm eingespielt. Der langjährige katholische Senderbeauftragte beim WDR, Bert Gruber, beschreibt sie als Impulse, „die zwar aus dem gesamten Repertoire an Themen des Glaubens schöpfen können, aber dennoch dem besonderen Charakter der Tageszeit gerecht werden müssen: Sie sollen helfen, die Zuhörer auf den Tag einzustimmen bzw. auf den Tag zurückzuschauen“ (Gruber 2012, S. 375). Die Verkündigung des Evangeliums im Radio sei „ein ständiger Spagat zwischen den Bedingungen des Mediums und den Perspektiven des Glaubens“ (ebd., S. 374). Die Kunst ist es, mitten in einem schnellen, oft schrillen Programm ein ruhiges, besinnliches Element zu platzieren, ohne einen kompletten Bruch im Programmfluss zu erzeugen. Die Hörer, die dem Radioprogramm oft nur nebenbei und unaufmerksam folgen, müssen in kurzer Zeit „abgeholt“ und auf das Thema eingestimmt werden.

Eine Erhebung im Jahr 2012 ergab, dass 42 öffentlich-rechtliche Hörfunkwellen regelmäßig Verkündigungssendungen ausstrahlen. Pro Woche wurden in der Summe allein 14,5 Stunden Kurzverkündigungen gesendet (vgl. Opahle 2012). Katholiken und Protestanten wechseln sich dabei ab, gelegentlich kommen Vertreter der jüdischen Gemeinden zu Wort (vgl. Rauch 2013a). Die zweitwichtigste Säule der Radioverkündigung bilden Übertragungen von Gottesdiensten mit wöchentlich sieben Stunden. Jede Landesrundfunkanstalt sendet auf einer ihrer Hörfunkwellen einen Gottesdienst – meist jeden Sonntag, beim BR, HR und SWR nur an kirchlichen Hochfesten. Andere Formen wie Magazine oder Gesprächssendungen kommen bei den Drittsendungen im öffentlich-rechtlichen Radio nur selten vor (in der Summe drei Stunden Sendezeit pro Woche), weil solche Formate ja schon von den Religions-Fachredaktionen produziert werden.

Anders sieht es bei den Zulieferungen für Privatradios aus. Gottesdienste werden dort so gut wie nie übertragen, und auch das Format der spirituellen Kurzverkündigung kommt seltener als bei den öffentlich-rechtlichen Hörfunkwellen zum Einsatz. Viel häufiger produzieren kleine Hörfunkteams der Bistümer und Landeskirchen (journalistische) Einzelbeiträge oder ganze Magazinsendungen und liefern diese an mehr als die Hälfte der in Deutschland über UKW empfangbaren Privatradios – von kleinen Lokalsendern bis zu landes- und bundesweit sendenden Wellen. Insgesamt kommen die Kirchen damit inklusive der in den Sendungen enthaltenen Musik auf wöchentlich mehr als 100 Sendestunden im privaten Hörfunk; der reine Wortanteil dürfte etwa ein Viertel des Umfangs ausmachen (vgl. Klenk 2013, S. 265 und Turrey 2013). Die kommerziellen Anbieter haben in der Regel keine Fachredaktionen für kirchlich-religiöse Themen und kehren die ihnen auferlegte Pflicht zur Ausstrahlung kirchlicher Sendungen in eigenen Nutzen um: Die Kirchen liefern ihnen die religiösen Beiträge teils umsonst, teils gegen Erstattung der Produktionskosten. Ohne die Zulieferungen der Kirchen gäbe es bei vielen Sendern keine regelmäßige Berichterstattung über Weltanschauungsthemen. Zugleich erhöht sich für die Privatsender mit den Drittsendungen der Wortanteil im Programm, der wiederum bei der Lizenzvergabe wichtig sein kann. Umgekehrt versuchen die Kirchen den Sendern entgegenzukommen, indem sie ihre Beiträge in Form und Inhalt auf die Zielgruppe des Senders und dessen Klangfarbe und Programmschema abstimmen. Die eingangs vorgestellte Sendung „Nighttalk“ ist ein gutes Beispiel für eine Beitragsgestaltung, die Rücksicht auf die Wünsche der Rezipienten des Senders nimmt. An einem Fremdkörper im Programm, der die Hörer zum Abschalten verleitet, können auch die kirchlichen Radiomacher kein Interesse haben.

Man kann also sagen, dass die Ausgestaltung des im Rundfunkrecht verankerten Drittsendungsrechts in der Praxis ein seit langem eingeübtes Geben und Nehmen von Religionsgemeinschaften und Rundfunkanbietern ist. Zuweilen kritisieren Kirchengegner, auf die Programmgestaltung der Sender werde durch das Drittsendungsrecht und die individuellen Vereinbarungen zu Produktion und Finanzierung der Verkündigungsbeiträge ungerechtfertigt Einfluss genommen. Abgesehen von der verfassungsrechtlichen Fundierung dieser Regelungen stellen die Kirchen trotz sinkender Mitgliederzahlen jedoch nach wie vor eine relevante gesellschaftliche Größe dar. Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind Mitglieder einer der beiden großen Kirchen – kirchliche Berichterstattung und Verkündigung sollte daher selbstverständlich ein Teil des Programms sein. Es stellt ja auch niemand die (deutlich höheren) Kosten der Sender für Produktion und Rechteerwerb im Zusammenhang mit der Übertragung von Sportveranstaltungen in Frage, weil Fußballturniere und andere Wettbewerbe viele Menschen begeistern.

Eine weitere Form kirchlicher Radioarbeit soll an dieser Stelle nur knapp erwähnt werden: Seit Einführung des dualen Rundfunksystems in Deutschland können auch die Kirchen eigene Rundfunksender betreiben oder Anteile an kommerziellen Sendern erwerben. Das erste rein kirchliche Programm in den Neunzigerjahren mit dem Namen Radio Campanile existierte aus wirtschaftlichen Gründen nur anderthalb Jahre. Erfolgreich war die Gründung des Kölner Domradios. Der Bistumssender verbreitet seit dem Jahr 2000 ein Vollprogramm, ist aber terrestrisch nur in eingeschränkten Gebieten zu empfangen. Das Erzbistum München-Freising will von April 2014 an ein Programm über Digitalradio (DAB) ausstrahlen. Das Bistums Augsburg hat zwar keinen dezidierten Kirchensender, ist aber über sein Medienhaus Sankt Ulrich Verlag an mehreren Regionalradios beteiligt und gestaltet das Programm teilweise mit. Radio Paradiso, das seit 1997 in Berlin sendet, gehört mehreren evangelischen und freikirchlichen Gesellschaftern. Das katholische Radio Horeb sendet seit 1996 und wird über Spenden finanziert.

Radio als Chance von Glaubenskommunikation

Wenngleich das Internet in den vergangenen Jahren das Mediennutzungsverhalten stark verändert hat, ist der Rundfunk nach wie vor das reichweitenstärkste Leitmedium. Rund 70 Prozent des täglichen Medienkonsums der Bevölkerung in Deutschland entfällt auf Radio und Fernsehen. Im Schnitt wird das TV-Gerät täglich mehr als dreieinhalb Stunden eingeschaltet. Radio gehört wird durchschnittlich drei Stunden am Tag – oft während anderen Tätigkeiten wie Autofahren oder Arbeiten. Alleine schon wegen der Dominanz des Rundfunks bei der öffentlichen Meinungsbildung muss die Kirche alles daran setzen, in den Programmen vorzukommen. Die Beiträge der Kirchen im Radio garantieren eine Kommunikation in die Breite der Gesellschaft. Insbesondere jene Beiträge, die als Kurzmeditationen oder als journalistisch-aufbereitete Informationen von öffentlich-rechtlichen Anstalten oder Privatradios ins laufende Programm eingestreut werden, kommen auch bei Menschen an, die nicht aktiv nach kirchlich-religiösen Informationen suchen. Die Kirchenfernen – und ihr Anteil an der Bevölkerung wird nachweislich größer – kaufen nicht von sich aus eine Kirchenzeitung oder steuern im Internet eine kirchliche Website an. In ihrem angestammten Radiosender aber werden sie wenigstens hin und wieder von religiösen Beiträgen überrascht. Es liegt an den kirchlichen Radiomachern, diese Chance zu nutzen, den richtigen Ton zu treffen und die Menschen (wieder) von der christlichen Botschaft und den Angeboten der Kirchen zu überzeugen.

Literatur
Gemmingen, Eberhard von (2011): Wie Pius XI. die Erfindung des Grafen Marconi nutzte. Zur Gründung von Radio Vatikan vor 80 Jahren. In: Communicatio Socialis, 44. Jg., H. 3, S. 346-349.

Gruber, Bert (2012): Ein Spezialfall der Medienwelt. Die Arbeit eines katholischen Rundfunkbeauftragten. In: Communicatio Socialis,
45. Jg., H. 4, S. 373-381.

Klenk, Christian (2013): Zustand und Zukunft katholischer Medien. Prämissen, Probleme, Prognosen. Berlin.

Opahle, Joachim (2012): 50 Stunden Programm im Monat, 150 Millionen Hörerkontakte. Die Verkündigungssendungen der katholischen Kirche im ARD-Hörfunk. In: Communicatio Socialis, 45. Jg., H. 4, S. 382-390.

Rauch, Raphael (2013a): Mix aus Information, Musik und Ritus. Jüdische Radiosendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
In: Communicatio Socialis, 46. Jg., H. 2, S. 146-163.

Rauch, Raphael (2013b): „Neues Sendungsbewusstsein.“ Islamische Verkündigung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In: Communicatio Socialis, 46. Jg., H. 3-4, S. 455-478.

Turrey, Christian (2013): Das Gespräch mit den Vielen führen und die Herzen berühren. 25 Jahre Kirche im Privatfunk (KAPRI). In: Communicatio Socialis, 46. Jg., H. 1, S. 64-71.

 

 

 

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