» STATEMENTS » Hermann Glaser
  Startseite labern/verkünden: Die christliche Blogosphäre
  ÜBERSICHT | EDITORIAL | TITELSTORY | INTERVIEW | STATEMENTS | ÜBER DIE AUTOREN
Diese Seite empfehlen Als Druckversion öffnen Als PDF herunterladen
  ZURÜCKBLÄTTERN WEITERBLÄTTERN
     
 
Text: Hermann Glaser  

Hermann Glaser, geboren 1928 in Nürnberg, studierte von 1947 bis 1952 Germanistik, Anglistik, Geschichte und Philosophie in Erlangen und Bristol. 1952 erhielt er seine Promotion und das Lehramtsexamen. Von 1964 bis 1990 war er Schul- und Kulturdezernent der Stadt Nürnberg. Bis 1990 war er Vorsitzender des Kulturausschusses des Deutschen Städtetags. Hermann Glaser ist Mitglied des PEN, Honorarprofessor an der TU Berlin und Gastprofessor im In- und Ausland. Er wurde mit verschiedenen Auszeichnungen geehrt, darunter der Große Kulturpreis der Stadt Nürnberg oder dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Hermann Glaser ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zu pädagogischen, sozialwissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen und kulturpolitischen Themen.

 
   
 

 

 

 

„Herr Glaser, Sie sind Kommunikationswissenschaftler und Honorarprofessor an der TU Berlin. Wie schätzen Sie die momentane Entwicklung und den Stand des Hörfunks im Vergleich zu anderen Medien ein? Und was muss ein christlicher Radiosender heutzutage wohl bieten, um gehört zu werden?

Visualisieren ist heute ein januskopfartiges gesellschaftliches Kernproblem. Bilder setzen ins Bild über alles und jedes; man möchte sehen, wie der Mensch lebt, wie die Natur sich entwickelt und alles „bildhaft“ (Glück und Unglück) miterleben; nichts, was nicht zur „Show“ wird. Vom Fernsehen und über andere bildorientierte Medien bezieht die Mehrheit der Menschen ihr Wissen und ihre Orientierung. Gleichförmig spult die Politik ihre Litanei: „Mehr Bildung!“ ab, ohne überhaupt den semantischen Unterschied von „Ausbildung“ und „Bildung“ zu begreifen, geschweige denn die verschiedenen Formen, wie man zur Bildung gelangt, zu reflektieren. Was hat es etwa für Folgen, wenn andere Vermittlungsformen wie das gedruckte oder gesprochene Wort zurückgedrängt werden und die Kunst des Hörens unterentwickelt bleibt? Vor allem: Ist Radio veraltet und ein Auslaufmodell? Oder nur noch Berieselungsmedium, Hintergrundgeräusch?
           
Anthropologisch gesehen ist der Mensch ein vorwiegend über Hören und Sprechen sich verwirklichendes Vernunftwesen, was auch das schwere Leiden der Taubstummheit e contrario deutlich macht. Umso wichtiger ist es, dass der Mensch zwar nicht „ganz Ohr“ ist, aber übers Ohr viele geistige bzw. kulturelle Anregungen erfährt. So kommt dem Radio eine entscheidende informative, kommunikative, also die Ontogenese prägende Bedeutung zu, die zu pflegen und zu fördern eine staatspolitische Aufgabe ist. Jeder Radiohörer weiß, dass der Hörfunk der öffentlich-rechtlichen Anstalten generell noch ein hohes Niveau hält; doch ist die Sogwirkung des kommerziellen Funks mit der Tendenz der Trivialisierung so stark, dass auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten Erosionserscheinungen zeigen. Solcher Gefahr gilt es gegenzusteuern, teilweise dadurch, dass man nicht zu sehr auf die Quote schaut, sondern Variabilität und Diversifikation steigert. Auch unter Beachtung der psychologischen Erkenntnis, dass menschliche Identitätsbildung nicht nur der Quantität und Kontinuität von Kleinereignissen bedarf, sondern der Qualität als wertvoller (anregender, unter Umständen anstrengender) Anreize bedarf. Dass dies geschieht, dazu leistet seit seiner Erfindung das Radio seinen Beitrag; etwa durch serielle Angebote, die Zuhörer und Zuhörerinnen für längere Zeit nicht loslassen und für die Ausbildung der Gehirnstruktur – im Sinne vernetzter, kulturelle Themen wichtig nehmender Synapsen – sorgen.
           
Die auditive Ausbildung des Gehirns ist eine überwölbende pädagogische Aufgabe, die durch das Angebot pluralistischer Sendeanstalten gefördert wird. Es gilt nicht nur die Feststellung „variatio delectat“ (Anm. d. Red.: lat. „Abwechslung macht Freude“), sondern auch, dass die Abwechslung vielfältige Herausforderungen garantiert. Und da wir wissen, dass das menschliche Gehirn sich vor allem im kindlichen und jugendlichen Alter zu einem nicht unerheblichen Ausmaß aufgrund exogener Einflüsse entwickelt, ist der Hörfunk-Herausforderung hohe mentale Bedeutung zuzumessen. Die Rezeption durchs Ohr sollte nicht dominant, sondern bestimmt sein von der Überzeugung, dass sie zur Ganzheit des Menschen gehört, also seine auditive Fähigkeit nicht vernachlässigt werden darf. Der Hörfunk ist einer der wichtigsten Quellen für „challenge“, wenn wir als „response“ den humanen Menschen, den sich human verhaltenden Menschen, erwarten.
           
Postskriptum: Eine „libidinöse“ Pädagogik (d.h. auf Gratifikation und nicht auf Sanktion setzende Bildung) bedarf der Ausweitung des Curriculums auf die Kunst des Hörens (als Element der ästhetischen Erziehung des Menschen).

 

nach oben

     
  ZURÜCKBLÄTTERN WEITERBLÄTTERN
  ÜBERSICHT | EDITORIAL | TITELSTORY | INTERVIEW | STATEMENTS | ÜBER DIE AUTOREN
Diese Seite empfehlen Als Druckversion öffnen Als PDF herunterladen