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Titelstory von:
Prof. Dr. Oliver Krüger
Bild: © Seitenschiff

 

 
   

 

Prof. Dr. Oliver Krüger, Jahrgang 1973, ist Professor für Religionswissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz). Er forscht hauptsächlich über das Verhältnis von Religion und Medien, Bestattungskulturen und religionssoziologische Fragestellungen. http://www.unifr.ch/sr

 
   

 

 

 

 

 

 

Vom Pfarrgemeindeblatt zum spirituellen Trendmagazin – der religiöse Zeitschriftenmarkt im Wandel

Die Veränderungen im Bereich der kirchlichen Publizistik werden oft als Krisensymptom der Kirchen und der Religion im Allgemeinen im christlich geprägten Abendland gedeutet, das heute von einem generellen Desinteresse an verbindlicher Religiosität geprägt sei. Legt man diese kulturpessimistische Lesebrille jedoch für einen Moment beiseite, so wird man schnell die großen Chancen und Möglichkeiten religiöser Publizistik in der modernen Gesellschaft erkennen. Dass in den vergangenen Jahren Zeitungen wie der Rheinische Merkur und das Allgemeine Deutsche Sonntagsblatt aus Kostengründen liquidiert wurden, kann man bedauern. Schaut man jedoch auf die Geschichte der christlichen Zeitungen im deutschen Sprachraum, die mit den von Valentin Ernst Löscher begründeten Unschuldigen Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen (1701-61) einsetzt, so sieht man, dass das Verschwinden alter und die Entstehung neuer Publikationsformate die Regel und nicht die Ausnahme ist. Findet man sich dann noch in der Abteilung der esoterischen und spirituellen Zeitschriften in einem Bahnhofskiosk wieder, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass der religiöse Zeitschriftenmarkt außerhalb der Großkirchen insgesamt so vielfältig und dynamisch ist, wie nie zuvor. Mein Beitrag wird einen Überblick über diesen Markt und seine Nutzung sowie einige Überlegungen zu Medienperspektiven unter veränderten Rahmenbedingungen generieren.

Der religiöse Zeitschriftenmarkt

Im Vergleich zur protestantischen Publizistik entwickelte sich das Angebot der katholischen Zeitschriften verspätet erst mit der so genannten "Kirchenblattbewegung" in der Restaurationszeit des 19. Jahrhunderts. Zwar ist in Bezug auf Titel- und Auflagenzahlen der Höhepunkt der katholischen Zeitschriften überschritten, jedoch vereint der Katholische Medienverband immer noch ca. 200 konfessionelle Medienunternehmen und Verlage mit ihren Produkten. Die auflagenstärkste Zeitschrift ist derzeit das monatlich erscheinende Magazin Frau und Mutter mit 520.000 Exemplaren, unter den Bistumsblättern hat das Münsteraner Journal Kirche und Leben mit ca. 100.000 Exemplaren die größte Leserschaft. Die Krise der Bistumszeitungen ist jedoch unübersehbar, der Auflagenverlust betrug in den vergangenen zehn Jahren ca. 4% jährlich.

Über die römisch-katholische Kirche hinaus kann ohne Schwierigkeit der Satz gewagt werden, dass praktisch jede religiöse Organisation, die über eine gewisse lokale Streuung verfügt, eine eigene Zeitschrift produziert. So sind neben den evangelischen Landeskirchen die in der Evangelischen Allianz zusammengeschlossenen Freikirchen besonders aktiv und edieren auf dieser Basis im Bundes-Verlag über 20 zielgruppenspezifische Magazine, z.B. kirchenübergreifend das Frauenmagazin Joyce mit einer Auflage von 17.000 Exemplaren. Insgesamt gesehen hat sich Der Wachtturm verkündet Jehovas Königreich (bekannt als: Der Wachtturm) seit seiner Gründung 1879 mit heute 40 Millionen Exemplaren in 180 Sprachen zur auflagenstärksten christlichen Zeitschrift entwickelt. Andere Religionsgemeinschaften erreichen mit ihren Angeboten in Deutschland nur einige Tausend Leser wie z.B. Buddhismus aktuell. Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union (seit 1987). Die big player auf dem weiteren spirituellen Zeitschriftenmarkt sind eindeutig astrologische Periodika: Marktführer ist hier mit ca. 250.000 Exemplaren der mit der Telefonberatung Questico verbundene Zukunftsblick (monatlich) noch vor der Astrowoche mit ca. 95.000 Verkaufsexemplaren. In Visionen– Das Magazin für ganzheitliches Leben (seit 1993) bildet die Astrologie nur eines unter weiteren Themen wie Reisen, Gesundheit, Kinder und Spiritualität, erreicht jedoch mit einer monatlichen Auflage von ca. 73.000 Exemplaren einen großen Leserkreis. Mit urkatholischer Thematik, jedoch außerhalb der Kirchenstrukturen, findet das Engelmagazin – Engel, Spiritualität und Lebensfreude (zweimonatlich) ca. 90.000 Leser mit einer Bandbreite von Channeling und christlicher Mystik bis zu Kochrezepten. Seit Juni 2010 drängt zudem das in den Niederlanden bereits etablierte Esoterik-Magazin Happinez auf den deutschen Zeitschriftenmarkt (123.000 Exemplare, acht Ausgaben pro Jahr) und bedient die spürbare Nachfrage nach einem umfassenden Magazin, das Wellness, Yoga, Ernährung und Spiritualität reich bebildert miteinander verbindet. Zeitschriften aus dem Spektrum des New Age haben heute nur noch einige Tausend Leser (wie Das Wesentliche) bzw. wurden bereits eingestellt (wie Enlightenment Next). Bemerkenswert ist bei diesem Überblick, dass der weitere spirituelle und kommerzielle Zeitschriftenmarkt trotz der Konkurrenz durch das Internet nicht schrumpft, sondern in den vergangenen Jahren sogar Neuzugänge verzeichnen kann.

Mediennutzung der Katholiken in Deutschland

Wer aber liest diese Zeitschriften? Welche Rolle spielen religiöse Zeitschriften in Zusammenhang mit anderen Medien? Wir sind in der glücklichen Lage, zumindest zu einigen Aspekten der Mediennutzung über aktuelle und zuverlässige Zahlen zu verfügen. Der Treuhandfond Medien des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) hat 2010 eine repräsentative Studie unter deutschen Katholiken durchführen lassen (veröffentlicht als MDG-Trendmonitor Religiöse Kommunikation 2010, 2 Bde.). Den gewonnen Daten können wir entnehmen, dass nur noch 10% der Katholiken Kirchenzeitungen/Bistumsblätter regelmäßig lesen, ca. die Hälfte der Katholiken kennen diese Periodika gar nicht. Zu denken geben sollte insbesondere, dass selbst unter den in der Pfarrgemeinde aktiven Katholiken nur 29% die Kirchenzeitung regelmäßig nutzen und 29% dies nie tun bzw. die Zeitungen gar nicht kennen. Im Vergleich zur Studie von 2002 ist der Leseranteil auch unter den kirchennahen Segmenten und den regelmäßigen Gottesdienstbesuchern signifikant zurückgegangen. Die Distanz zu den Printmedien ihrer Kirche ist unter jüngeren Katholiken stärker ausgeprägt. Kirchenferne Christen werden von diesen Printmedien fast gar nicht erreicht. Die Internetangebote der Kirchenzeitungen werden v.a. von den Lesern der Druckausgaben frequentiert. Gegenüber den Bistums- und Kirchenzeitungen verbleibt die Nutzung des lokalen Gemeindeblattes oder Pfarrbriefes auf hohem Niveau: Zusammengenommen über 60% der Katholiken lesen diese Nachrichten "häufig" oder "ab und zu". Auch kirchenferne Christen nutzen dieses Medium mehrheitlich zumindest sporadisch.

Unter den kirchennahen Zeitschriften sind einige Titel wie das Kolpingmagazin, Leben und Erziehen und das Missio Magazin ca. einem Fünftel der Katholiken zumindest dem Namen nach vertraut. Die bekannteste Zeitschrift (38%) war der Rheinische Merkur. Ein Drittel der Befragten hatte jedoch keinerlei Kenntnis der vorgelegten Titel.

Veränderte Rahmenbedingungen

Die Printmedien der evangelischen Landeskirchen sowie der römisch-katholischen Kirche in Deutschland konnten sich über lange Jahrzehnte hinweg auf einem Polster großer Abonnentenzahlen ausruhen. Dies ist jedoch ein historischer Sonderfall, der mit der besonderen Förderung und rechtlichen Privilegfierung der Kirchen in Nachkriegsdeutschland zusammenhängt. In der Regel mussten (und müssen) sich kirchlich getragene Zeitungen und Zeitschriften mit attraktiven Angeboten auf dem Markt behaupten. Dies gilt besonders dann, wenn sich der Monopolzugang zur kirchengebundenen Leserschaft zu einem pluralistischen Markt an kirchlichen, religiösen und spirituellen Medienangeboten wandelt. Diesen Prozess hat auch Norbert Kebekus in seinem Artikel zur Blogözese dargelegt. Kirchennahe Zeitungen stehen damit z.B. in direkter Konkurrenz zum Engelmagazin oder Happinez. Aber nicht nur ist der Medienmarkt im Wandel, auch die Religionslandschaft gestaltet sich dynamischer, als mancher Prognostiker dies erwartet hatte. Hohe Verbindlichkeit, enge Kirchenbindung sowie moralischer Traditionalismus sind keineswegs anachronistisch – das zeigen die Ergebnisse der Forschungsprojekte des NFP58 in der Schweiz: Die evangelischen Freikirchen stellen mit 1423 lokalen Kongregationen (= 24.8 %) hinter der römisch-katholischen Kirche (30.5 %) und noch vor der reformierten Kirche (19.1 %) die zweithöchste Anzahl von Kirchengemeinden (http://www.nfp58.ch). Es ist zu erwarten, dass auch in Deutschland eine Verschiebung zu Gunsten kleinerer Kirchen eintritt. Anders als die beiden Großkirchen, die durch ihre staatlich garantierten Privilegien auf expliziten Proselytismus verzichten, können die Freikirchen ihre Medien auch aktiv zur Mission und Werbung einsetzen.

Perspektiven

Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich hieraus für die kirchliche Medienarbeit? Das (verbindliche) Interesse an Religion und an religiöser Publizistik besteht nach wie vor. Die desolaten Zahlen jedoch, die die MDG-Studie lieferte, müssen eigentlich dazu führen, das strukturelle Mediengefüge innerhalb der katholischen Kirche zu überdenken. Bistumszeitungen spiegeln eine (historisch sehr "bunt" gewachsene) Machtstruktur der Kirche wider, haben als Kommunikationsgemeinschaft jedoch nur eine minimale Relevanz – selbst für die engagierten Gläubigen. Die hohe Akzeptanz der lokalen Pfarrgemeindeblätter spricht dafür, diese zu stärken, da hierüber nicht nur die identitätsstiftende Kirchenbindung der Aktiven gefestigt werden kann, sondern offenbar auch Kirchenferne erreicht werden. Darüber hinaus – das kann man am freikirchlichen Zeitschriftenmarkt ablesen – erscheinen abgestimmte Medienangebote für bestimmte Zielgruppen (Kinder, Jugendliche, junge Familien, Senioren, an christlicher Praxis/Spiritualität Interessierte, Kirchenkritische etc.) sinnvoller als zahlreiche, allgemeine Publikationen der regionalen Bistümer. Ein weiteres Merkmal freikirchlicher Medienarbeit, das sich ganz offenbar als erfolgreich erwiesen hat, ist die crossmedia-Vernetzung der einzelnen Medien. Printmedien sind eng mit Radio- und Fernsehangeboten und beide wiederum eng mit Online-Angeboten verbunden (Homepages, Blogs, YouTube-Videos). Diese Vernetzung ist in vielen Fällen nicht zentralistisch organisiert, sondern bindet auf der lokalen Ebene engagierte Laien ein. Das Engagement von Laien (dort wo sie Kompetenzen und Kreativität besitzen) zu stärken und damit auch Verantwortung zu teilen, bedeutet für die römisch-katholische Kirche sicher eine Kurskorrektur – wenn man die nautische Metapher des Großtankers und der Schlauchboote von Norbert Kebekus aufgreifen will. Ziele und Formate der Medienarbeit nur durch die Kirchenleitung definieren zu lassen, würde Erwartungen von Frauen und jungen Christen fortwährend enttäuschen und den Großtanker Kirche auf eine Odyssee durch ein sich immer rasanter wandelndes Medienmeer schicken.

 

nach obeN

     
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