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Im Interview:
Prof. Harald Eichsteller
Bild: © 31M

 

 
   

 

Prof. Harald Eichsteller ist Professor für Internationales Medienmanagement und Studiendekan des Masterstudiengangs Elektronische Medien an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart. Der studierte Betriebswirt (WHU Koblenz, Northwestern University, ESC Lyon) war vor seinem Wechsel zurück an die Hochschule 20 Jahre  in Medienunternehmen, Agenturen und der Industrie tätig. Die Schwerpunkte seiner Praxis- und Forschungsprojekte liegen in den Bereichen kundenorientierte Strategien, Innovationsmanagement, CRM, Social Media und Multichannel Retailing. Als Referent und Chairman ist er auf Kongressen und Workshops weltweit unterwegs, in zahlreichen Fachartikeln und Interviews dokumentiert Harald Eichsteller die gute Positionierung der HdM in diesen Themenfeldern
Infos aktuell: www.eichsteller.com / www.hdm-stuttgart.de/emm

 
   

 

 

labern/verkünden – Die christliche Blogosphäre


Interview mit Professor Harald Eichsteller

Ist heute ein Leben ohne Social Media noch denkbar?
(Falls ja: Für wen? Falls nein: Für wen nicht und warum nicht??)
Für mich nicht, für die meisten der jungen Generation auch nicht. Wenn ich etwas Schönes sehe wie bspw. vor ein paar Tagen einen herrlichen Sonnenaufgang, möchte ich das mit meinen Freunden teilen – egal, ob die gerade in Stuttgart, Köln oder sonst wo auf der Welt sind. Also: Bild machen, auf Facebook hochladen und in wenigen Minuten sehe ich, dass sich einige meiner Facebook-Freunde mit mir gefreut haben.

 

Wer nutzt heute Social Media und warum?
Bevor der Begriff Soziale Netzwerke erfunden wurde, hießen die digitalen Verbindungen ‚Communities‘ – interessanterweise ist das das identische englische Wort für Gemeinde. Soziale Zugehörigkeit, (Mit-) Teilen, sich Wohlfühlen, das sind Bedürfnisse, die junge Leute natürlicherweise nicht auf reale Kontakte beschränken. Die Generation Y ist mit den digitalen Medien aufgewachsen und wird oftmals als ‚Digital Natives‘, also ‚digitale Eingeborene‘ bezeichnet.

 

Welche gesellschaftliche Relevanz hat Social Media?
Die Skeptiker sagen sicherlich, dass das Phänomen Social Media überbewertet ist. Ich bin allerdings der Auffassung, dass wir erst am Anfang stehen. Globalisierung und Mobilität haben zugenommen, Familien und Generationen leben und arbeiten nicht mehr zwingend am selben Ort. Das oben skizzierte unkomplizierte Teilen von Alltäglichem erhält Nähe auch über die Distanz. Ich bin übrigens mit Frank Schirrmacher, dem Herausgeber der F.A.Z. der Meinung, dass in wenigen Jahren ein Großteil der älteren Bevölkerung Teil der digitalen Community sein wird, wenn die Bedienung der Geräte dann vollends intuitiv funktioniert.

 

Wie wichtig ist Social Media für Unternehmen geworden?
David Weinberger hat 1999 mit ein paar Freunden die 95 Thesen des Cluetrain Manifestes aufgeschrieben. Hier wird postuliert „Märkte sind Gespräche“ – nicht viel anders als im Mittelalter, eben nur auch digital. Das heißt, das Wichtigste ist, dass die Unternehmen mitbekommen, was über sie gesprochen wird. Durch die rasante digitale Verbreitung können sich schlechte Nachrichten ganz schnell verbreiten und sogenannte ‚Shitstorms‘ entstehen. Unternehmen sind gut beraten, Teil der Gespräche zu sein und über digitale Kanäle genauso schnell, vor allem aber authentisch und offen zu reagieren.

 

Wann, würden Sie sagen, ist ein Unternehmen – wie Sie es formulieren – „Social Media Ready“?
Um Social Media nicht nur auf Facebook und die Kurznachrichten von Twitter zu reduzieren, kann authentische Kommunikation bspw. auch mit kleinen Youtube-Filmen über Produkte oder zur Ansprache von potenziellen Bewerbern eingesetzt werden. Unbedingt gehört auch dazu, dass das Unternehmensprofil auf Wikipedia oder dem professionellen Netzwerk XING gepflegt ist und dass man beobachtet, was die Mitarbeiter und Kunden über das Unternehmen auf Bewertungs-Websites sagen (z.B. kununu für Mitarbeiter oder autoplenum für Werkstätten).

 

Wer sind die führenden Unternehmen im Umgang mit Social Media?
Da gibt es mittlerweile aus allen Branchen gute Beispiele. Die Computerfirma Dell hat bspw. in Texas und in Frankfurt zwei Zentren aufgebaut, wo sie frühzeitig mitbekommen, wenn bei den Laptops ihrer Kunden etwas schiefläuft. Der Bohrmaschinenhersteller Hilti hat tolle Anwendungs-Beispiele auf Youtube.

Sarah Connor kommuniziert teilweise über ihr Team und immer wieder ganz persönlich super authentisch mit ihren Fans. Und seit letzter Woche ist der Papst bei Twitter und hatte innerhalb weniger Tage über eine Million Follower.

 

Welche Social Media Kanäle sind wichtig?
Brian Solis hat ein buntes Leporello mit seinem Konversations-Prisma aufgezeichnet – für jeden ist etwas anderes wichtig. Beispielsweise gibt es viele Fans von Pinterest, einem sozialen Netzwerk für Bilder – ich persönlich teile meine Bilder nur mit meinen persönlichen Freunden über Facebook.

 

Wie erreicht man gute Besuchszahlen und eine hohe Akzeptanz durch die User?
Immer wieder: authentische Kommunikation – und einen Mehrwert, den man sofort versteht.

 

Warum sind Blogs wichtig?
Blogs sind deswegen wichtig, weil jeder seine eigene Plattform aufmachen kann, ohne Programmierer zu sein. Jeder einzelne kann damit zum Herausgeber von für ihn und seine Freunde wichtigen Nachrichten werden. Über die in Blog-Software eingebaute Technik werden die Abonnenten eines Blogs immer dann benachrichtigt, wenn es etwas Neues gibt.

 

Welche Arten von Blogs gibt es?
Blog-net.ch differenziert nach Persönlich – Business – Schulen – Gemeinnützig – Politik – Militär – Privat – Sport - Tipps und Bewertungen.

 

Was sind für Sie Qualitätskriterien für Blogs?
Immer wieder: authentische Kommunikation und Mehrwert!

 

Wie viele Blogs gibt es heute und wie viele Nutzer/Leser?
Das Marktforschungsunternehmen Nielsen hat für 2011 die Zahl von 170 Millionen Blogs weltweit bekanntgegeben, bei Twingly gibt es die Charts der Top-Blogs, die in Deutsch publizieren.

 

Warum bloggen Menschen?
Weil sie ein Anliegen haben, sich mitteilen wollen und die digitale Technik dies nahezu kostenfrei und sehr einfach macht.

 

Welche Menschen bloggen und welche lesen Blogs?
Menschen, die publizieren, sind natürlich wesentlich weniger als diejenigen, die lesen. Die ARD-ZDF-Onlinestudie hat verschiedene Nutzertypen skizziert – vom jungen Wilden bis zum kulturorientierten Traditionellen; suchen Sie sich Ihren Lieblingstypen raus, Sie werden überall Blogger und Blog-Leser finden.

 

Was sind Ihre Erfahrungen: Wird in Blogs mehr gelabert oder konstruktiv informiert und diskutiert?
Bei 170 Millionen Blogs wäre es verwegen, dies beurteilen zu wollen. Ich folge übrigens nur ganz wenigen Menschen über den Micro-Blogging-Dienst Twitter – und da ist nur einer dabei, der labert (allerdings nur, wenn er Fußball guckt und dabei sein Smartphone oder iPad zur Hand hat).

 

Wird bloggen das persönliche Gespräch ablösen oder größtenteils verdrängen?
Das ist doch nur eine Publikationsform – eine 1-zu-viele-Kommunikation. Natürlich haben persönliche Gespräche eine völlig andere Qualität.

 

Wie wird sich Social Media weiterentwickeln und welche Entwicklung sehen Sie für die Blogger-Szene?
Ich könnte mir vorstellen, dass sich neben Facebook sich doch noch ein deutsches Soziales Netzwerk für die ältere Generation entwickelt und durchsetzt. Interessant ist auch das Zusammenwachsen von Internet und Fernsehen auf den modernen TV-Geräten bzw. dem Tablet-PC, der als zweiter kleiner Bildschirm auf dem Sofa die Fernbedienung ersetzen wird, aber eben noch viel mehr kann. Die Blogger müssen nach wie vor schauen, wo und wie sie ihre Zielgruppen erreichen und ob und welche Plattformen sie dazu nutzen. Es ist ein bisschen wie beim Telefonbuch – seine Nummer irgendwo reinschreiben, garantiert noch keine Anrufe und Kommunikation.

Gehören Blogs heute zur Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und Institutionen wie Kirche dazu und falls ja, wie sollten Unternehmen und Institutionen dann damit umgehen?
Mir ist ein Blog zu wenig – es geht nicht um einen zusätzlichen digitalen Verkündungs-Kanal, sondern um authentische Kommunikation in alle Richtungen. In einem Interview hat Jürgen Sievers, der mit 80.000 Fans die größte Kitesurfer-Community auf Facebook hat, den Ausdruck ‚kuratieren‘ benutzt; das heißt eine Plattform für seine Freunde und Fans bieten, sich austauschen, sich wohlfühlen, mal nur lesen, mal kommentieren, mal zeigen, dass einem etwas gefällt und eben auch mal selbst etwas publizieren.

Schauen Sie auf die Homepage meines Masterstudiengangs an der Hochschule der Medien – hier fließen 3 Facebook-Kanäle und 1 Twitter-Kanal mit rein und ich lasse das völlig unzensiert zu.

 

Sie bieten u.a. Workshops zum Thema „Strategien im Digitalen Zeitalter“ an. Wie sähe ein Workshop mit einer christlichen Gemeinde aus, die noch in den digitalen Kinderschuhen steckt und sich erfolgreich mit „Neukunden“ vernetzen möchte?
Naja, für einen Workshop mit einer Gemeinde braucht man nicht wirklich einen Strategie-Experten. Man kann ja einfach mit seinen Konfirmanden und Jungscharlern überlegen, was man in Facebook aufsetzt und was überhaupt erfolgreich sein kann.

 

Angenommen, die Kirche käme als Kunde auf Sie zu. Welche Voraussetzungen bringt sie Ihrer Meinung schon mit und welche werden Sie als Experte mit ihr gemeinsam erarbeiten, um erfolgreich im Netz zu kommunizieren?
Die Kirche hat die beste Voraussetzung überhaupt: eine Botschaft und seit Jahrtausenden ‚Follower‘. Allerdings hat die Kirche auch einen tradtionellen Kommunikationsstil – eher Verkündung und Verbreitung mit normativem Charakter, statt offene Plattform. Nicht zuletzt deswegen hatte der Vatikan die Kommentarfunktion in Facebook gesperrt und jetzt seine Social Media Aktivitäten über Twitter wiederbelebt. Hier muss man gemeinsam ansetzen, um die einzelnen Sozialen Medien mit ihren jeweiligen Regeln authentisch zu bespielen.

 

Wie kann Kirche die Social-Media-Kanäle für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzen?
Extrem gut, wenn sie sich öffnet und sich explorativ und ergebnisoffen an die Kanäle wagt.

 

Kennen Sie christliche Blogs oder gar die christliche Bloggerspähre? Falls ja, wie ist Ihr Eindruck?
Alle Theologen, die ich kenne – inklusive meinem Bruder, der Pfarrer in Norwegen ist – sind gegenüber den digitalen Medien eher zurückhaltend eingestellt. Ich habe den Eindruck, dass oft die Frage im Vordergrund steht, ob persönliche Kommunikation nicht eine höhere Qualität hat als die Kommunikation über digitale Kanäle. Für mich ist es aber nicht ein ‚entweder-oder‘, sondern ein ‚sowohl-als auch‘ – und natürlich im Endeffekt um die Effektivität der Kanäle, d.h. über welchen Weg überhaupt meine Botschaften diejenigen erreichen, die ich erreichen möchte.

 

Drei kurze Fragen zum Schluss:



Sind Sie gläubig?
Ja

 

Sind Sie Mitglied einer Kirche?
Klar

 

Glauben Sie, dass Jesus, wenn er heute auf der Welt wäre, bloggen würde?
Aber hallo – wenn Fußballspieler, Schlagersternchen und Energiedrinks ein paar Millionen Fans in der digitalen Welt sammeln können, wäre Jesus der Superstar in Facebook, Twitter und mit seinem Blog!

 

 

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