Startseite Ausgabe 10 | glaubwürdig/skandalös - Krisenkommunikation als Chance für neue Anfänge.
   
 

Titelstory von:
Wunibald Müller
Bild: aboutpixel.de / frühnebel © newmoon

 

 
   

 

Wunibald Müller, Doktor der Theologie, Diplompsychologe und Psychotherapeut, ist seit 1991 Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach. Unter seinem Namen wurden bereits verschiedene Werke aus den Bereichen Spiritualität und Lebenshilfe veröffentlicht.  
   

 

 

 

 

 

 

Zur kommunikativen Herausforderung des sogenannten Missbrauchsskandals

Defizite und Chancen, Erfahrungen und Anregungen

Keine vornehme Zurückhaltung

Mir gegenüber sitzt Patrick Schwarz, Redakteur bei der ZEIT, zuständig für die Bereiche Politik und Kirche. Er will mit mir ein Interview über das Zölibat machen. So hatte er es mir angekündigt. Doch erst jetzt sagt er mir, sein Beitrag soll im Rahmen eines ZEIT Dossiers zum Thema sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erscheinen. Ich hatte zuvor – und habe danach noch – unzählige Anfragen von Funk, Fernsehen und Presse, darunter vom SPIEGEL und STERN, mich zum sexuellen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zu äußern abgelehnt, weil ich die Einrichtung, in der ich arbeite – das Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach – aus den Schlagzeilen halten wollte.

Ich erwähne diese Begegnung, weil mir Patrick Schwarz in diesem Gespräch klar zu machen versuchte, dass wir – und damit meinte er die kirchlichen Leute, die sich mit diesem Thema befassen – in dieser schwersten Krise der katholischen Kirche in jüngster Zeit, uns nicht vornehm mit Rücksicht auf unser Renommee heraushalten könnten. Und irgendwie musste ich ihm Recht geben. Dazu kommt: die Rücksichtnahme auf das Recollectio-Haus, so wurde mir mit der Zeit deutlich, war wohl auch nur ein Grund für die Zurückhaltung, die ich mir auferlegt hatte. Es gab und gibt sicher auch noch andere. Auf einige will ich näher eingehen.

Mangel an Offenheit, Toleranz und Ermutigung, ehrlich über vorhandene Probleme zu reden

In der katholischen Kirche fehlt es vielfach an der Offenheit und Toleranz, gar Ermutigung,  ehrlich über vorhandene Probleme zu reden. Das gilt in besonderer Weise für Tabuthemen wie Sexualität, Homosexualität, die Stellung von Frauen in der Kirche, klerikale Strukturen in der Kirche und, wenn auch nicht mehr so stark wie früher, das Zölibat. Wer es dennoch tut, muss mit Sanktionen rechnen, wer gar unangenehme Wirklichkeiten benennt, läuft Gefahr als Nestbeschmutzer beschimpft zu werden. Das führt dazu, dass die eigenen, kirchlichen Leute, die um die Probleme wissen, sich zurückhalten, bis dahin, dass sie es irgendwann einfach lassen, auf die Missstände aufmerksam zu machen. Dadurch fällt zunehmend innerkirchlich eine Stimme aus, die zu hören die Verantwortliche in der Kirche ein Interesse haben müssten, um sich den Problemen zu stellen, möglichen Krise verhindern oder ihnen angemessen begegnen zu können. Die so notwendige innerkirchliche Kommunikation findet nicht statt und erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, besinnt man sich vielleicht der Ressourcen, die eigentlich zur Verfügung gestanden wären.

Angst, der Wirklichkeit ins Angesicht zu schauen

In der katholischen Kirche will man oft nicht der Wahrheit und Wirklichkeit ins Angesicht schauen. Auch hier wieder vor allem der unangenehmen, mitunter garstigen Wirklichkeit. Die Missbrauchsskandale in den USA und Kanada in den 90er Jahren und Anfang 2000 hätten die Verantwortlichen in Deutschland alarmieren müssen, aber – es gab Ausnahmen – die Reaktion darauf war eher halbherzig, auch wenn die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahre 2002 ein erster wichtiger Durchbruch waren, insofern die Vorgehensweise in Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester nicht länger den einzelnen Bistümern überlassen wurde.

Ich hatte bereits 1995 in einem Beitrag für die Herder-Korrespondenz auf die Problematik des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche aufmerksam gemacht und später davor gewarnt, das Problem, das wir in unserer deutschen Kirche damit haben im Vergleich zu dem Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in den USA nicht klein zu reden. Als ich konkrete Zahlen nannte, hörte man das nicht gerne.

Die Bedeutung der Presse

Es bedurfte des Einsatzes — man muss das der Ehrlichkeit halber so sagen —, um die Verantwortlichen in der Kirche dazu zu bringen, den besagten Missständen die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, sie zu beachten und Konsequenzen daraus zu ziehen. Es war unbestritten schmerzvoll für viele innerhalb der Kirche zum Zeitpunkt des Höhepunktes des Missbrauchskandals täglich mit furchtbaren Vorkommnissen im kirchlichen Bereich konfrontiert zu werden. Es bedurfte aber dieser Öffentlichkeit, dieses zum Teil schonungslosen Einblickes in eine Wirklichkeit, die auch zum kirchlichen Lebensalltag gehört, bisher aber wie in eine Dunkelkammer eingesperrt worden war, um sich endlich dieser Wirklichkeit zu stellen. Manchmal hatte man als „Kirchlicher“ den Eindruck, dass es die Journalisten waren, die endlich die Wahrheit aussprachen, sie die eigentlichen Propheten waren, die mit der Schelle in der Hand auf Missstände in der Kirche hinwiesen. Ich hatte in diesen Tagen auch mit vielen Journalisten gesprochen, bei denen ich bei aller Kritik an der Kirche und bei allem Entsetzen über die Missbrauchsfälle in der Kirche und das Verhalten dabei durch Verantwortliche in der Kirche, Sympathie für die Kirche entdeckte, deren auch gesellschaftliche Bedeutung, ihre sinnstiftende Aufgabe, ihr soziales Engagement und ihre Möglichkeiten, Menschen zusammenzuführen, von ihnen geschätzt wurde. Ein Bedeutungsverlust der Kirche in diesen Bereichen aufgrund eines Vertrauensverlustes der Kirche wurde bedauert.

Schlussfolgerungen

Die Verantwortlichen in der Kirche müssen mit den Kritiken in ihren eigenen Reihen den Dialog suchen. In der katholischen Kirche selbst muss eine Atmosphäre einziehen, in der es einem als Christ leichter gemacht wird, angstfrei Probleme zu benennen, Missstände anzusprechen. Das sieht auch die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen katholischen Moraltheologen so, die fordert, über eine zukunftsfähige Sexualethik nachzudenken und dabei von den Bischöfen erwarte, in der Kirche für eine Atmosphäre zu sorgen, in der diese Arbeit offen, angstfrei und ermutigend möglich ist.

Nicht alles, was in der Kirche geschieht, auch an Unvollkommenen, Fragwürdigen, Unwahrhaften, muss zu Markte getragen werden. Doch die Transparenz innerkirchlicher Vorgänge darf, soll und muss auch nach außen hin größer werden. Das setzt voraus so manche Feindbilder, die man über sich über Journalisten zugelegt hat, in Frage zu stellen oder ganz abzulegen, wohl wissend, dass es natürlich auch Journalisten gibt, die der Kirche eines auswischen wollen.

Die Kirche selbst tut sich den besten Gefallen, wenn sie sich immer mehr von einem klerikalen Weltbild und klerikalem Gehabe löst, das die Gefahr mit sich bringt, irgendwann zu glauben, dass man eben doch etwas Besseres sei, heiliger sei als andere und damit einhergehend Verhaltensweisen an den Tag legen kann, die im offenen Gegensatz stehen zu Bescheidenheit, Liebe, Demut, alles Tugenden, die die Kirche auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Es gilt das Gift des Klerikalismus, das in den vergangenen Jahrhunderten in unsere Kirche eingesickert ist, zu entdecken und zunehmend die Kirche von diesem Klerikalismus zu befreien. Das heißt nicht, dass wir nicht länger ja sagen zum Papst, zu Bischöfen, zu Priestern, zur Weihevollmacht usw. Sie gehören natürlich und selbstverständlich zur Kirche. Nichts verloren haben in der Kirche Privilegien, Sonderbehandlungen, Anspruchsdenken, klerikales Gehabe, bei dem geistliche Vollmacht missbraucht wird, um Macht und Kontrolle über andere auszuüben. Die selbstverständlichsten Umgangsformen wie respektvoller Umgang miteinander werden dann außer Acht gelassen, die Transparenz von Entscheidungen wird als nicht notwendig erachtet, der echte Dialog, der verlangt wirklich hinzuhören und dafür offen zu sein, die eigene Position durch den jeweilig anderen bereichern zu lassen, wird als überflüssig betrachtet, vor allem aber wird die ständig Mund geführte Liebe mit Füßen getreten.

Genau das aber nimmt die Öffentlichkeit – mit Recht – der Kirche übel: Die Kluft, die sich zwischen Anspruch und Wirklichkeit auftut. Missbrauch ist immer furchtbar. Wenn er aber in den Reihen derer geschieht, die glauben gerade auch im moralischen Bereich sich über andere erheben zu können, sich mit der Aura des Heiligen umgeben und das noch dazu missbrauchen – siehe Priester, die Minderjährige missbrauchen -, um ihrem verwerflichen Begehren Nachdruck zu verleihen, ist das noch abstoßender.

Es heißt, in der Krise liegt eine Chance. Als Psychotherapeut kann ich das bestätigen. Die große Krise der Kirche in den vergangenen Monaten als Chance zu begreifen und zu nutzen , heißt nach meiner Überzeugung zu allererst und vor allem, nicht länger der Wahrheit und Wirklichkeit in der Kirche aus dem Weg zu gehen, sich von den Idealen, wie es zu sein hätte, nicht blenden zu lassen, sondern den Blick auf die Wahrheit auszuhalten, sich davon treffen zu lassen, ggf. auch erschüttern zu lassen, um dadurch aufgerüttelt, Neues zuzulassen. Neues Denken, ein erneutes Hinschauen auf das, was jetzt, heute notwendig ist.

Beim Erschüttern kann es ja auch geschehen, dass so manches einstürzt, was die Kirche bisher davon abgehalten hat, Neues zuzulassen, jetzt aber möglich ist. Auch weil jetzt, wen das was das bisher verhindert hat, beseitigt worden ist, die ‚Räume’ da sind, die es ermöglichen, miteinander zu kommunizieren, auf gleicher Ebene ins Gespräch zu kommen. Miteinander zu reden. Übrigens das A und O, um sexuellen Missbrauch zu verhindern und aufzuarbeiten.

Die Sprachlosigkeit zu überwinden, die Geheimnistuerei aufzubrechen. Das (erst, allein) schafft Transparenz, ermöglicht die Lichtdurchlässigkeit, die so dringend notwendig in der katholischen Kirche ist. Die Qualität der Beziehungen im Innenraum der Kirche hängt von der wechselseitigen Transparenz, der Lichtdurchlässigkeit von Person zu Person ab. Damit innerhalb der Kirche und nach außen hin endlich wieder mehr von dem zu sehen und dann auch zu spüren ist, um das es doch letztlich immer noch geht, und allein gehen kann: Gott. Er nicht länger im Dickicht und den Verkrustungen klerikaler Strukturen in seiner heilenden Wirkkraft behindert wird, sondern ungehindert dem ganzen System, das dann nicht länger nur ein System ist, sondern Gottes Volk unterwegs, seine Handschrift „verpassen“ kann. Endlich.

nach obeN