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Text: Hans-Martin Gutmann  
Hans-Martin Gutmann, Dr.theol. MA phil., ist Professor für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Homiletik und Universitätsprediger der Universität Hamburg.

 
   

 

 

 

„Was müsste kirchliche Öffentlichkeitsarbeit beachten, um in den Wahrnehmungsroutinen der Gegenwartskultur rezipierbar zu sein?“

Ich bin von der Redaktion von „Sinnstiftermag“ um eine Reaktion auf diese Frage gebeten worden. Meine erste Reaktion: die Frage ist selber schwer rezipierbar. Es braucht ziemlich eindrucksvolle Motiviertheit, Gähnen zu unterdrücken und weiter zu lesen. Herzliche Einladung dazu; es folgt ein Einwurf.

Einmal: „Werbekampagnen für Glaube und Kirche“ dürfen nicht unsichtbar machen, wofür sie werben. Wenn eine Hamburger Hauptkirche im Stadtzentrum für viele Monate hinter einer riesigen H&M-Werbung verschwindet, wird die symbolische Anmutung des Kirchenraumes zerstört: ein Zuhause für Beheimatung, Trost, aber auch heilsame Verstörung lebensfeindlicher Selbstverständlichkeiten.

Dieses Beispiel ist gemein, weil in diesem Fall ja nicht für Kirche und Glauben geworben werden soll, sondern dringend benötigtes Geld für den Erhalt des kirchlichen Raumes durch Werbung für Anderes eingeworben werden soll. Dennoch: hier zeigt sich in verdichteter Weise das Risiko einer Selbstauslieferung evangelischer Religion an Marktmechanismen, die zum eigenen Inhalt in einem zumindest gebrochenen Verhältnis stehen.

Wir haben mit einem eigenartigen Widerspruch zu tun: Blockbuster aus Hollywood und anderswo zeigen immer wieder ausdrückliche religiöse Symbole und Rituale – beispielsweise einen Hochzeits- oder Bestattungsgottesdienst – und provozieren bei den Zuschauer/innen die Suche nach Tempotaschentüchern. Kirchliche Öffentlichkeitsarbeit kann davon in der Regel nur träumen. Ihre Plakataktionen unterbieten den befreienden Inhalt des Evangeliums oft so dramatisch, dass sie in der Masse hervorragend gemachter Produktwerbung bestenfalls untergehen.

Kirchliche Internetauftritte unterbieten das Niveau der für die User selbstverständlichen Gewohnheiten von Rezeption und Interaktion oft gerade dadurch, dass sie sich allzu offensichtlich darum bemühen. Die Schwäche liegt nicht zuerst in der technischen Machart. Sie liegt in einer Kommunikationsfalle. Es wird in den Werbeaktionen zu deutlich, dass hier Attraktivität gesucht wird.

Die Suche nach Attraktivität ist langweilig. Wer mitteilt, dass er attraktiv sein möchte, wird dadurch nicht attraktiv, sondern teilt einfach diese Tatsache mit, dass er attraktiv sein möchte, und das heißt: auch nach eigener Wahrnehmung nicht attraktiv ist. Ich sehe hier eine Analogie zu Kommunikationsfallen in anderen Feldern zwischenmenschlicher Interaktion. Die Aufforderung: liebe mich! macht mich nicht liebenswerter, sondern beinhaltet die Mitteilung, dass ich mich spontan gerade nicht als liebenswert empfinde.

In diese Kommunikationsfalle steckt eine Kirche, die ihre Sache durch Werbung auf dem Markt attraktiv machen möchte. Sie wird langweilig, wenn sie durch Suche nach Attraktivität mitteilt, dass man selber der eigenen Sache Attraktivität nicht zutraut. Das Problem liegt nicht zuerst darin, dass Werbung und Marketing für viele Formen der Produktwerbung nicht erfolgreich wären. Das Problem liegt darin, dass die Kommunikation des Evangeliums anders funktioniert als die Warenzirkulation auf dem Markt.

Kirche findet in ihren wesentlichen Lebensvollzügen – Gottesdienst, Seelsorge, Diakonie, Engagement für die Lebensrechte aller Menschen und insbesondere der Armen – in face-to-face-Kommunikation statt. Hier gilt – im Gegensatz zu medialen Präsentationen auf unüberschaubaren Märkten: Verpackung macht nicht attraktiv. Wo evangelische Religion lebendig ist, gilt erst recht, was auf dem Schulhof, in der Disco oder im Büro selbstverständlich ist: Attraktivität kann man nicht fordern, erbitten, erst recht nicht erzwingen. Attraktivität ist eine spontan eintretende Erfahrung.

Sie hat in der Kirche eine besondere Qualität. Sie macht jeweils für diese Menschen in dieser besonderen Situation das Heilige hier und jetzt wirksam. Begegnung mit dem zugleich Erschreckenden und Faszinierenden. Christliche Religion teilt sie mit allen anderen Religionen. Das Heilige kann nicht durch Reflexion, auch nicht durch Diskurs begründet werden. Es überschreitet die Grenzen alltäglicher Kommunikation. Das Heilige hat in der jüdisch-christlichen Erzähl- und Lebenstradition eine besondere Gestalt. Von Anfang an erzählt die Bibel davon, dass die Beziehung, die Gott mit seinen Menschen und der ganzen Welt des Lebendigen eröffnet, ein unverwechselbares Gesicht hat. Gott ist nicht eine abstrakte Macht und fordert nicht blind Erschrecken und Faszination. Gott ist nicht gestaltlose überwältigende Erfahrung. Gott befreit aus Gefangenschaft und Unterdrückung. Er gibt das Leben, die Verheißung, er gibt das Gebot, das Leben ermöglicht. Er eröffnet durch diese Gaben eine verpflichtende und befreiende Beziehung  (5.Mose 6, 4f.).

Fulbert Steffensky schreibt (Der alltägliche Charme des Glaubens, Würzburg 2002, 100): „Ich glaube, die Erlebnisnähe einer Gemeinde hängt davon ab, was in hier verhandelt wird und was ihre Leidenschaft ist. Die Erlebnisnähe einer Gemeinde, die einer kurdischen Familie Asyl gibt, brauche ich nicht zu steigern. Die Erlebnisintensität eines Gottesdienstes einer Friedensgruppe ergibt sich aus ihrem Thema. Die Frage also ist, was die Lebensthemen und die Optionen einer Gemeinde und eine Kirche sind.“

So oder so: die „Rezipierbarkeit kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit“, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, hängt daran, wie es kirchlicher Werbung gelingt – in Plakataktionen, Fernsehspots, Kinowerbung, Internetauftritten, wo auch immer - , jeweils vor Ort gelebte evangelische Religion einladend zu machen. Sie lebt aus ihrer Lebendigkeit und führt, gelingendenfalls, auf sie hin.

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