Startseite Ausgabe 07 | brennen - dösen - Was zeichnet starke Glaubenszeugen aus?
   
 
Text: Jürgen Holtkamp  

Jürgen Holtkamp, Dr. phil., geboren 1963; studierte Religionspädagogik in Freiburg und Erziehungswissenschaften in Münster. Es liegen von ihm zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen Corporate Design, Public Relations, Internetkommunikation, Marketing und Werbung vor. Im April 2010 erscheint sein neues Werk „Fremde Welten entdecken – Marketing für Pfarrgemeinden, Verbände und Vereine“ im Dialogverlag.



 
   

 

 

 

„Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute Öffentlichkeitskampagne für Kirche und Glauben aus?“

„Erst Wasser predigen, aber selbst Wein trinken; Schluss mit der Doppelmoral der Kirche!“ „So nicht, jetzt trete ich aus!“ Stammtischparolen sind das nicht, sondern Aussagen von Katholiken. Bild titelte am 25. März 2010 „Priester im Bistum Münster suspendiert“. Seit Wochen ist die katholische Kirche in den Medien omnipräsent. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Fakten, neue Missbrauchsfälle bekannt werden. Ob in unzähligen Weblogs im Internet, diversen Talkshows im Fernsehen oder in zahlreichen Reportagen in Zeitungen, eine solch immense öffentliche Aufmerksamkeit hat die katholische Kirche seit Jahren nicht mehr gehabt. Wohl kaum jemand in Deutschland, der nicht mitbekommen hat, dass die Kirche wegen des sexuellen Missbrauchs in Bedrängnis geraten ist. Hier bestätigt sich der Satz „bad news are good news“ als förderlich für die Auflagenhöhe der Zeitungen und die Einschaltquoten der TV-Sender.

Der Imageschaden für die katholische Kirche ist immens. Doch steckt in jeder Krise auch eine Chance: Die Missbrauchsfälle müssen aufgeklärt werden und die Schuldigen die ganze Härte des Gesetzes spüren. Da gibt es kein wenn und aber. Durch die Berichterstattung der Medien können wir aber auch viel darüber lernen, wie Medien ticken, wie sie ein Thema über Wochen und Monate von allen Seiten beleuchten, diskutieren und so auf der Agenda halten. Sezieren wir also rein analytisch diese „Kampagne“, die für die Medien erfolgreich ist, und die katholische Kirche in eine ihrer tiefsten Krisen stürzt. Was kann die Kirche für ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit daraus lernen?

Täter und Opfer

Blicken wir kurz auf den Sachverhalt: Fakt ist, dass sich einzelne Priester an Schutzbefohlenen vergangen haben. Tatsache ist auch, dass Vorgesetzte, Priester und Kollegen weggeschaut haben, wie das aktuelle Beispiel der Odenwaldschule – einer sehr bekannten Schule der Reformpädagogik – zeigt. Wir haben hier einen klassischen Fall von Unrecht. Es geht um Macht und Ohnmacht, Brutalität und Hilflosigkeit, Angst und Missbrauch. Die Gegensätze sind offensichtlich: Der gemeingefährliche Erzieher hier, das schutzlose Kind dort. Dieses Grundmotiv der Täter-Opfer-Perspektive ist so alt wie die Menschheit selbst und immer auch der Nährstoff, den die Medien brauchen, um aktiv zu werden. Medien greifen diese Thematik gerne auf, auch mit dem Hinweis, der Informationspflicht gegenüber den Bürgern.

Betroffenheit und Emotionen

Öffentlichkeitsarbeit braucht Emotionen und Gefühle, ohne die Werbung nicht längerfristig wirken kann. Wie gelingt es also, Emotionen so zu verkaufen und zu steuern, dass die Menschen davon wirklich bewegt werden. Als im Jahre 2005 Kardinal Josef Ratzinger zum Papst gewählt wurde, lautete die Überschrift der Bildzeitung: „Wir sind Papst“. Als 2006 in Deutschland die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen wurde, ging ein Ruck durch das Land: Alle Menschen waren im WM Fieber und der Song „Dieser Weg“ tat sein übriges, das waren emotionale Momente, die Millionen bewegten und für einen Augenblick schien die Welt stillzustehen.

Emotionen freisetzen

Die katholische Kirche kann sich wunderbar in Szene setzen. Obwohl Kirchenbänke leerer werden und die Gläubigenzahl schrumpft, strömen Millionen Menschen an Weihnachten und Ostern in die Kirchen. Da gibt es in den Gottesdiensten diese Momente, wenn die Orgel intoniert, die selbst Kirchenferne packt und sie inbrünstig „Stille Nacht, heilige Nacht…“ mitsingen. Diese Momente werden sicherlich immer seltener, viele Menschen verstehen weder die Symbolik der Liturgie noch die Texte einer Messe. Und doch ist es ein Alleinstellungsmerkmal der Kirche: Sie kann diese getragene Stimmung inszenieren, die dazu führt, dass Menschen sich von der Liebe Gottes ansprechen lassen. In der Inszenierung hat die Kirche einen umfangreichen Erfahrungsschatz und sie ist nach wie vor eine moralische Instanz, die gesellschaftlich akzeptiert ist. Auch wenn ihr gesellschaftlicher und politischer Einfluss schwindet, die Einrichtungen der katholischen Kirche werden besucht und wertgeschätzt.

Öffentlichkeitskampagne für den Glauben

Im neuen Testament gibt es zahlreiche Beispiele, in denen Jesus sagt, was der Auftrag der Kirche sei. ‚Nächstenliebe leben’ und ‚sich für die Schwachen einsetzen’ gehört zu den Kernaufgaben. Ungeachtet aller Anschuldigungen hinsichtlich der Missbrauchsfälle, gibt es in unserer Gesellschaft viele Ereignisse und Themen, zu denen die Kirche Stellung beziehen kann - und es auch tut. Ob Arbeitslosigkeit, Finanzkrise, Bewahrung der Schöpfung, Ganztagsschule, Familienpolitik oder Lebensberatung: All das sind wichtige Themen, zu denen Kirche sich positioniert.

Eine gute Kampagnensteuerung bringt diese Themen an die Oberfläche, garniert sie mit dem notwendigen Schuss Emotionalität und scheut dabei auch nicht klare Worte und eindrucksvolle Bilder. Um in der Mediengesellschaft wahrgenommen zu werden, müssen komplexe Sachverhalte so erklärt werden, dass breite Bevölkerungsteile sie verstehen können. Erfolgreich wird eine Kampagne dann, wenn sie viele Medienkanäle nutzt. Da gibt es den Bericht in der Kirchenzeitung für ältere Kirchgänger, Plakate und Flyer für kirchenferne Menschen und für jüngere Zielgruppen gibt es das speziell für diese Zielgruppe gedrehte Video auf Youtube und den Internetblog. Bei einer bundesweiten Kampagne wäre es ratsam, wenn zeitgleich auf allen Internetseiten der Bistümer und Erzbistümer abgestimmte Texte, Videos und Bilder zum Thema veröffentlicht würden. In einer Pressemeldung an alle Medien sollte darüber informiert werden. Auf allen Medienkanälen senden bedeutet in diesem Zusammenhang auch, Fernsehen und Radio einzubeziehen. Das Thema in die Talkshows zu bringen, es mit Personen zu besetzen, die nicht nur über Fernseherfahrung verfügen, sondern fernsehtauglich sind. Sendeplatz in einer Talkshow zu erhalten, lässt sich nicht direkt steuern, daher werden die Medienverantwortlichen über Fernsehwerbung nachdenken. Welche Themen zu welchen Sendern passen, muss in diesem Zusammenhang herausgefunden werden.

Professionalität auf- und ausbauen

Wer auf allen Medienkanälen senden will, braucht Medienformate, die sich an den Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten der Menschen orientieren. Die katholische Kirche verfügt über ein weites Kommunikationsnetz und über viele sehr gut ausgebildete Fachleute im Medienbereich. Sie kennen die Gepflogenheiten der Medienbranche und wissen, wie man Themen setzt. Fehlt nur die inhaltliche Abstimmung in den Bistumsleitungen, um eine katholische Kampagne starten zu können. In einzelnen Bistümern gibt es bereits diese Ansätze. ‚Darf Kirche überhaupt Werbung und Marketing betreiben?’, lautet immer noch der indirekte Vorwurf vieler Christen? ‚Verliert sie dadurch nicht an religiöser und spiritueller Durchschlagskraft?’ Wer so argumentiert, denkt vorkonziliar. Seit dem zweiten Vatikanum gibt es die Hinwendung der Kirche zur Welt, zur Gesellschaft. Die Kirche hat den Auftrag sich einzumischen, Missstände anzuprangern, Gerechtigkeit und Frieden einzufordern und den Glauben zu verkünden. Dafür braucht die Kirche die Medien.

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