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Text: Manfred G. Nicht  

Manfred G. Nicht, Jahrgang 1941, hat Mathematik, Physik, Pädagogik, Psychologie und Philosophie studiert. Seit 2006 ist der Oberstudiendirektor i.K.a.D. Philistersenior der Akademischen Verbindung Cheruscia zu Münster im CV.

 
   

 

 

 

„Die Bedeutung von Riten, Eigentümlichkeiten und Gebräuchen in Studentenverbindungen am Beispiel der AV Cheruscia zu Münster im CV“

Studentenverbindungen prägen seit jeher die akademische Landschaft Deutschlands. Das Lebensbundprinzip verbindet Studenten (Aktivitas) und Absolventen von Hochschulen (Altherrenschaft) aller Generationen miteinander. Die Verbindungen pflegen einen Gedankenaustausch über die von ihnen vertretenen Fachrichtungen hinaus und ermöglichen es den Studenten, sich neben dem Studium besondere Qualifikationen im Umgang mit Menschen anzueignen und diese zu erproben.

Ich gehöre der Akademischen Verbindung Cheruscia zu Münster an, die mit weiteren 122 Verbindungen den Cartellverband der katholischen deutschen farbentragenden Studentenverbindungen (CV) bildet, der mit etwa 30.000 Mitgliedern der größte deutschen Studentenverband ist. Der Verband hat eine Tradition von mehr als 150 Jahren, die ihn durch seine Prinzipien religio, scientia, amicitia und patria charakterisiert und die sein Wirken und das Leben seiner Mitglieder nachhaltig beeinflusst.

Studentenverbindungen  pflegen Bräuche, die zum Teil von jahrhundertealten, gelegentlich nicht mehr bewussten Traditionen herrühren. Der offensichtlichste ist das Tragen der Couleur, von Band und Mütze in den Farben der Verbindung, durch das sich jedes Mitglied bei gemeinsamen Veranstaltungen und auch in der Öffentlichkeit  zu seinem Bund und dessen Prinzipien bekennt. In den Farben „violett – weiß – schwarz“ meiner Verbindung spiegelt sich entsprechend einer besonderen Farbsymbolik der Wahlspruch „treu – fest – wahr“ meines Bundes.

Unser Zirkel – eine verschnörkelte Abkürzung des „vivat, crescat, floreat Cheruscia“ hinter dem Namen des Bundesbruders ist gleichsam das Identifikationssymbol für die Zugehörigkeit zu meiner Verbindung. Es findet sich im Wappen der Verbindung ebenso wieder, wie auf vielen Verbindungsartikeln und Gerätschaften z. B. Couleurpostkarten, Bierkrügen, Einrichtungsgegenständen usw. und dokumentiert dort gleich einem Logo die Identität. Bierzipfel in den Farben der Verbindung werden mit Bundesbrüdern oder Cartellbrüdern als Ausdruck besonderer freundschaftlicher Beziehungen ausgetauscht.

Die Chargen der Aktivitas tragen bei festlichen bzw. repräsentativen Veranstaltungen die Vollwichs, bestehend aus einer farbigen Pekesche, einer weißen Hose, Kanonenstiefel, dem Paradecerevis auf dem Kopf, der Schärpe und dem Schläger in der Scheide – natürlich in den Verbindungsfarben. Die Kleidung ist aus der studentischen Tracht des 18. Jahrhunderts hervorgegangen. Traditionelle Feste und Feiern sind ein wichtiger Teil des Verbindungslebens; insbesondere Kneipen und Kommerse laufen nach bestimmten Ritualen ab, die sich aus tradierten Formen studentischer Geselligkeit herleiten und zusammen mit weiteren z. T. tradierten Verhaltensregeln im sog. Comment der Verbindung festgelegt sind. Insbesondere werden die Rezeption eines neuen Mitgliedes und seine spätere Burschung, die endgültige Aufnahme in einen lebenslangen Freundschaftsbund, nach besonderen feierlichen Riten vollzogen.

Der Comment ist Ausdruck von Regeln und Formen, die das Verbindungsleben in seinen Äußeren lenken. Bestimmte Verhaltensweisen, die den Umgang der Menschen untereinander prägen, werden dort festgeschrieben und sind auch heute Ausdruck von gegenseitigem Respekt, der allen Menschen gegenüber zu zeigen ist. Die studentische Couleur weist auf die lange Tradition der Verbindungen hin; und da sie die Identifikation mit den Zielen und Grundeinstellungen (Prinzipien) einer Verbindung bedeutet, hat das Tragen der Couleur auch in unserer Zeit eine wichtige erzieherische Funktion. Sie bringt die Zusammengehörigkeit nach innen ebenso zum Ausdruck und fördert auch das angemessene Auftreten des Einzelnen in der Öffentlichkeit. Darüber hinaus kommt dem Farbentragen ein hoher Wiedererkennungswert zu, der in der Gründungszeit von Verbindungen i. a. eine Zuordnung nach der landsmannschaftlichen Herkunft im Raum der Hochschule ermöglichte. 

Alle diese in langer Tradition entstandenen Riten und Formen unterliegen aber auch gewissen Veränderungen und Aktualisierungen. So werden mancherorts die festen Ordnungen ein wenig aufgebrochen, um etwa bei  Kneipen und Kommersen die Möglichkeit von mehr  Kommunikation zu bieten und in diesem Sinne auch den Ablauf dieser Veranstaltungen vorsichtig zu verändern, d. h. den aktuellen Erfordernissen anzupassen. Ebenso wird über eine wirkungsvollere Struktur der Begegnung von Aktiven und Alten Herren nachgedacht, um den Studenten noch mehr Möglichkeiten zu bieten, bestimmte Qualifikationen (soft skills) durch Unterstützung der Alten Herren zu erwerben, die in der Hochschule heute kaum mehr erworben werden können. 

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