Startseite Ausgabe 07 | brennen - dösen - Was zeichnet starke Glaubenszeugen aus?
   
 

Im Interview:
Florian Sobetzko
Bilder: privat

 

 
   

 

Florian Sobetzko (36) ist katholischer Pastoralreferent und arbeitet als Jugend- und Schulseelsorger in der Aachener Innenstadt. Zuletzt machte er durch unkonventionelle Jugendkirchenprojekte auf sich aufmerksam. Herzenssache und wichtigstes Arbeitsfeld sind ihm aber die Seelsorgegespräche mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Florian Sobetzko im Internet: www.tanzenamstrand.de
 
   

Das kafarna:um Jugendkirchenprojekt Gegründet in einem kleinen umgebauten Büroraum entwickelte sich kafarna:um zu einer Hauskirche von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Aachener Innenstadt. Die Besucher und Bewohner dieser WG-Kirche mit Küche, Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Sommergarten sind ungewöhnlich weit gefächert: Abiturient, Sitzenbleiber, Designstudentin, Musiker, Bauingenieur, Krankenschwester, Lichttechniker, Informatiker, Theologin, Fahrradverrückter, FSJ'ler, Weltreisende oder Regieassistenzpraktikantin - begleitet von einem Pastoralreferenten und einem Mensakoch mit Ordensvergangenheit. Das Konzept von kafarna:um besteht wesentlich in der Verkleinerung - bei Gebeten und Gottesdiensten fühlt man sich deshalb wohl, egal ob drei oder dreiundfünfzig Besucher dabei sind.

kafarna:um 1:
29 qm, Platz für bis zu 30 BesucherInnen, Baukosten 2500 € und 250 Stunden ehrenamtliche Arbeit, Jahresbudget: 1200 €, finanziert durch Spenden und kirchliche Gelder.

kafarna:um 2:
50qm Gottesdienstraum, 100 qm Wohnraum, 150 qm Garten, Baukosten 10.000 € und ca. 1.000 Stunden ehrenamtliche Arbeit, finanziert durch Spenden, kirchliche Gelder und Mittel der Aktion Mensch.

kafarna:um-Blog: www.kafarnaum.de 
3.062 Seitenzugriffe,
950 Besuche von 450 eindeutigen BesucherInnen im August 2009, durchschnittliche Verweildauer ca. 19 Minuten.

 
   

 

  „Visionen muss man sehen können.“

Interview mit Florian Sobetzko

Worin besteht, in kurzen Sätzen, Ihre Arbeit, Ihr Projekt?

Ich bin Jugendseelsorger in den katholischen Innenstadtgemeinden Aachens. Als ich nach Aachen kam, erhielt ich den Auftrag, mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen, die mit der Kirche nichts zu tun haben, also quasi 100% aller dortigen Jugendlichen. Mit einer Handvoll von ihnen gründete ich eine alternative Jugendkirche, außerdem bin ich Schulseelsorger an einem Gymnasium.

Wie sind Sie an Ihre jetzige Tätigkeit gekommen? Wie lief der Weg dorthin?

Ich wurde versehentlich eingestellt, als ich mir an einem Nachmittag im Frühjahr 2000 von der obersten Etage des Generalvikariates aus die Stadt ansehen wollte.

Wieso versehentlich?

Anders konnte ich mir damals nicht erklären, dass man mir eine so verantwortungsvolle Tätigkeit anvertrauen würde.

Was haben Sie vorher gemacht?

Vorher erlebte ich ein unterschiedlich heiteres Leben als Schlüsselkind und Sitzenbleiber, Ladendieb und Abitur-Redner, Computerfreak und Chorleiter, Theologiestudent und Servicekraft in einem Apple-Center.

Hört sich nicht nach einer Eintrittskarte für eine Karriere in der Kirche an. Oder wurden Sie gerade wegen Ihres ungewöhnlichen Lebensweges eingestellt?

Sie werden lachen, aber ich kenne kaum ein Unternehmen, in dem so viele so unterschiedliche Menschen arbeiten wie bei uns – leider ist unsere Außenwirkung aber etwas anders gelagert. Für die Arbeit in der Seelsorge ist es definitiv von Vorteil oder sogar Voraussetzung, die Kirchenfenster mal von außen gesehen zu haben.

Die Erfahrung, wie verwirrt und idiotisch man als pubertierender Jugendlicher sein kann, sich selbst wegen einer Leercassette und einer Deoflasche vor den Jugendrichter zu katapultieren, hilft mir in meiner Arbeit enorm. Gibt es eigentlich noch Leercassetten?

Was will die Kirche, die Sie ja bezahlt, ganz konkret von Ihnen? Was sollen Sie leisten?

Ich vermute ungefähr so: mein Auftrag ist es, die liebende Gegenwart Gottes im Leben und Alltag der Menschen erfahrbar werden zu lassen, bevorzugt ohne große Kollateralschäden.

Was treibt Sie an?

Was könnte mich davon abhalten? Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Glücklicherweise ganz anders, als Sie vielleicht befürchten: Ich stehe spät auf und gehe spät schlafen. Dazwischen tue ich normalerweise was ich will und wie ich will und wo ich will mit wem ich will. Konkret heißt das: ich verschwende professionell meine Zeit und verschenke sie an Menschen, die ich treffe, hänge mit Jugendlichen auf dem Schulhof herum und spreche mit ihnen über das nötige Maß an Entspanntheit, die große Liebe, Suchtprobleme, depressive Geschwister, die beste Eisdiele der Stadt, die Scheidung der Eltern, Essstörungen oder Softwareupdates fürs Handy.

Später am Tag mache ich Musik oder treffe Leute in der Hauskirche für Jugendliche, die wir in Aachen Mitte geschaffen haben. Irgendwo zwischen Küche, Wohnzimmer, Hängemattenwiese und Gottesdienstraum gibt es immer etwas zu bequatschen, zu belachen, zu beweinen, zu besingen oder zu reparieren - nicht nur in unseren Gottesdiensten.

Zwischendurch hüpfe ich zuhause vorbei und genieße mit meiner italienischen Ehefrau Pasta col Pomodoro, anschließend einen Espresso.

Wie reagieren die Jugendlichen auf Sie und Ihr Angebot?

Auf mich als Person regelmäßig sehr offen und neugierig. Humor und Unverschämtheit helfen bei der Kontaktaufnahme genauso wie ehrliches und spürbares Interesse an den jungen Menschen, die sehr sensibel registrieren, ob ich mich für Sie interessiere oder sie nur für etwas brauche.

Die Mischung aus Mac-Geek, Worshipmusiker, Hängematten-gartenanbieter, Schulpsychologenersatz, Jugendreiseveranstalter und Datenschutzfachmann weckt auf jeden Fall Interesse und ebnet den Weg, auch mit den gewichtigen Dingen des Lebens mal anzutesten, ob ein Seelsorger was nützen könnte.

Welche Eigenschaften müssen Ihrer Meinung nach Menschen mitbringen, die andere überzeugen, führen und für sich gewinnen wollen?

Sonderbare Frage, klingt irgendwie nach "Wer fragt, der führt"-Seminaren... Wenn es darum geht, jemanden für Visionen und Wagnisse zu begeistern, für kirchlich-religiöse zumal, gehört sicher viel Gespür für Sehnsüchte und Ängste der Menschen dazu.

Wenn ich keine authentische Beziehung mit den Menschen wage, in der wir beide vorkommen, kann ich meine Visionen abheften. Wenn ich nicht brenne, kann ich niemanden entzünden.

Bedarf es einer speziellen Ausbildung dafür?

Eine leicht gestörte Kindheit ist nicht von Nachteil, überkompensierte Minderwertigkeitsgefühle können zu großer Empathie führen und zu maßloser Anstrengung für jegliche "wir werden es Euch beweisen"-Projekte. Ferner die kostbare Einsicht, dass nach dem Scheitern der Neubeginn kommt und umgekehrt.

Und rein formal?

Formal gesehen brauchte ich für meinen „Traumberuf Pastoralreferent/in im Bistum Aachen" ein Abitur, ein Diplom in katholischer Theologie und eine dreijährige Berufseinführung mit Studienteilen, Praxiserfahrungen und Reflexion. Welche studientechnischen Zugangswege es in Zukunft geben wird, diskutieren wir derzeit auf verschiedenen Ebenen.

Wovon möchten Sie Menschen überzeugen?

Vom richtigen Betriebssystem. Nicht nur was Computer und Telefone angeht, sondern eben auch, was die weitergehende Ausrichtung meines Lebens betrifft. Letzteres ist bei einer Generation, deren Rosenkranz der iPodkopfhörer ist, die interessantere Herausforderung.

Wie machen Sie das: überzeugen?

Visionen muss man sehen können. Wenn ich etwas Größeres anfange, muss ich es vor mir sehen und meinem Gegenüber auch dazu verhelfen. Egal, ob ich ein Musical, ein Jugendkirchenprojekt, ein Seelsorge-Blog, eine Ferienreise oder eine Mondlandung starte, ich browse erstmal nächtelang in meiner iPhoto Library und suche Bilder, durchstöbere iTunes auf der Suche nach dem richtigen Soundtrack, mache typografische Basteleien und erstelle Testlayouts, ringe um erträgliche Worte, Klänge und Überschriften.

Nur wenn das Ergebnis so schön ist, dass ich es mir notfalls heimlich runterladen würde, traue ich mich damit auf die Straße. Aber auch das ist eigentlich gelogen, denn wenn ich von einer wundervollen Idee erstmal gefangen bin, kann ich sie kaum noch für mich behalten.

Was sind bei Ihrer Überzeugungsarbeit die drei wichtigsten "Tricks"?

Erstens, die Übertreibung, für die ich leider gerne missverstanden werde. Ich mühe mich, die Dinge ständig so zu tun, als hätte es sie noch nie gegeben, obwohl wir seit 2000 Jahren dasselbe tun. Etwas tun, als wäre es die erste und ganz große Liebe. Erinnern Sie sich an den originellen Werbespot von Springer und Jacoby, wo jemand im Restaurant "das zweitbeste Steak und für meine Frau den zweitbesten Fisch" bestellt?

Ich mag es, dem Geist Gottes übertrieben große Kraft und nicht nur den zweitbesten Platz auf der Treppe zuzutrauen, wenn wir ihm unsere Hände und Herzen leihen. Die Parallelen zu Investmentgesellschaften enden hier selbstverständlich...

Damit unsere Leser wissen, über welchen Spot Sie reden, ist hier der Link dazu:

http://www.sj.com/kreation/klassiker/dws-der-zweitbeste_k.html

Was sind Ihre weiteren "Tricks"?

Neben der Übertreibung zweitens das Konzept der sich als wissend definierenden Minorität, die sich von einer feindlichen und nicht-wissenden Majorität umstellt erlebt.

Was meinen Sie konkret damit?

Es ist ein Konzept, dass sowohl die Selbstwahrnehmung der frühen Christenheit als auch noch vor einigen Jahren die der Apple-Gemeinde sowie unserer Jugendkirchenarbeit in Aachen beschreibt. Es entfaltet eine unglaubliche Kraft. Kritikern und Gegnern bin ich daher regelmäßig sehr dankbar, denn sie zwingen uns zu klarem Profil nach außen und zu enormen Maßen an Solidarität und Selbstvergewisserung nach innen.

Mein Lieblingsbeispiel: Wir haben lokal einen für 2500 € umgebauten Büroraum als "Jugendkirche" definiert und für die Verwendung dieses Begriffs von außen teils ordentlich Gegenwind geerntet. Das hat mich getroffen, weil ich mir Rückenwind erhofft hatte. Gleichzeitig hat dies bei allen Beteiligten zu einer "Jetzt-erst-recht-Situation" geführt, aus der zwei bundesweit beachtete neue Jugendkirchenkonzepte entstanden sind: die – ich nenne sie mal – Bürokirche oder Mikrojugendkirche, für die man auf jedem Dorf noch irgendwo einen Platz finden wird, und die Hauskirche für Jugendliche, ich nenne sie mal "WG-Kirche" in Innenstadtlage. 

Mit welchen „Tricks“ arbeiten Sie sonst noch?

Ich habe einen der besten Seelsorger und Beichtväter dieser Stadt an meiner Seite, der mir sowohl in meiner Hybris wie bei meinen abgründigsten Ängsten den Kopf immer wieder zurechtrückt.

Warum ist das wichtig?

Weil zwischen Mut und Übermut nur eine hauchdünne Siliziumschicht Platz hat. Wenn ich hier nicht glasklar weiß, was mich treibt, lasse ich den Wagen lieber stehen.

Kann man das lernen, überzeugend zu sein, oder ist das manchen gegeben und anderen nicht?

Auf einem Existenzgründerseminar habe ich mir mal was von "Vertrieb als Kriegskunst" erzählen lassen. Auf fiesen "Was kann ich für Sie tun"-Seminaren kann ich sicher viele Techniken erlernen und damit dann hinterher sogar Leute überreden, mir was abzukaufen.

In meiner Arbeit möchte ich die Menschen aber eigentlich vor allem von sich selbst überzeugen und sie ermutigen, mit dem, was sie sind und können, neue Wege zu wagen. Um Menschen zu motivieren, sich mit den liebenden und gnädigen Augen Gottes zu sehen, muss ich das wohl erstmal bei mir selber üben, sonst nimmt es mir niemand ab...

Wer hat Sie mal von etwas überzeugt? Wie lief das ab?

In meiner dritten Fahrstunde zeigte mir Fahrlehrer Tillmanns, dass man beim Auffahren auf die Autobahn ordentlich beschleunigen muss, um nicht zur Bremse zu werden. Er gab Gas und zeigte mir, dass ich das auch kann.

Sie leben und arbeiten mit jungen Leuten. Sind diese besonders leicht oder besonders schwer von etwas zu überzeugen?

Von schwachsinnigen Produkten wie Cannabis, DSDS und falschen Betriebssystemen sind die scheinbar recht leicht zu überzeugen, was wirklich nervt. Sie in der Benutzeroberfläche unserer sonderbaren Welt von Ihrem eigenen Wert und der Wichtigkeit der innersten Hoffnung und Sehnsucht zu überzeugen, finde ich erstaunlich anstrengend. Trotzdem ist es bezaubernd, genau das zu tun - und damit wieder sehr leicht.

Wie schaffen es „burning persons“ wie Sie, nicht auszubrennen?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schaffe. Im Moment fühle ich mich aber sehr gut und bedaure eher die Depressionen mancher KollegInnen. Unentbehrlich aber unbedingt: die Liebe meiner Frau, der Herzchenschlag meiner Katzen, Musik von Keith Jarrett, mein Fender Rhodes Seventy Three und genügend Gehalt, mir ein SIM-Lock-freies iPhone aus Italien zu kaufen.

Kann man „burning person“ und zugleich Teamplayer sein?

Hängt von der Definition von Teamplay ab. Ich werde den evangelischen Schulpfarrer niemals an mein Klavier lassen - die Predigt im Abiturgottesdienst ist dagegen sein Spezialgebiet. Wo Teamplay zur Therapieform für mein Hauptamtlerseelchen wird, nehme ich lieber Supervision und würde das auch so empfehlen.

Sie haben sich im Marketing fortgebildet, waren auch Verkäufer für Macs: Gibt es Dinge, die Sie für die kirchliche Glaubensweitergabe vom Marketing lernen können?

Ja. Erstens Preisgestaltung: Was die Leute für eine Sache zu geben bereit sind, richtet sich meist wesentlich nicht nach dem realen Wert einer Sache, sondern nach der Wertanmutung. In der Warenwelt zahlen Menschen unrealistisch hohe Preise für Dinge mit faszinierend geringem Wert. Bei uns dagegen investieren Menschen mehrheitlich fast nichts in etwas, das uns als Kirche von unendlichem Wert ist. Beides gibt mir zu denken.

Zweitens das betriebswirtschaftliche Minimal- bzw. Maximalprinzip.
Das Minimalprinzip besagt, das man ein bestimmtes Ziel mit möglichst wenig Mitteln erreicht. Das Maximalprinzip, dass man mit den gegebenen Mittel möglichst großen Nutzen erzielt. Dem zuwider müssen wir bei Kirche dauernd mit so wenig wie möglich so weit wie möglich kommen. Kein festes Ziel, kein festes Budget, das lähmt.

Fördert die Kirche die Heranbildung von „burning persons“,
oder müsste hier Ihrer Meinung nach mehr passieren?

Unsere Gesellschaft fördert meiner Meinung nach zu sehr die Stromlinienförmigkeit von Menschen, gerade von jungen. Dem heute wirksamen medialen und wirtschaftlichen Druck gegenüber nimmt sich meine Kirche aus wie ein gelobtes Land.

Etwas mehr Mut täte uns trotzdem gut, sowohl der hauptamtlich verfassten Kirche als auch den  EhrenamtlerInnen. Uns fehlt die Kultur oder meinetwegen auch Unkultur des Risikokapitals, ideell wie pekuniär. Wenn wir dem Geist Gottes nichts zutrauen, ist er machtlos.

Was meinen Sie genau, wenn Sie von Kultur oder Unkultur des Risikokapitals sprechen? Können Sie uns ein Beispiel geben?

Gerne. Kultur des Risikokapitals heißt hier für mich, mit den immer noch riesigen Ressourcen mutig umzugehen und es nicht immer allen gleichzeitig recht machen zu wollen. Ideenwettbewerbe, bei denen aufregende Ideen zeitnah wirklich gut ausgestattet werden, würden mir gefallen. Stattdessen verteilen wir gelegentlich verfügbare größere Summen an Projektgeldern "gerecht" unter so vielen Gruppen und Projekten, dass sie sich quasi verflüchtigen.

Die Einzelprojekte werden mit der Beschaffung von "Eigenleistungen" beschäftigt statt durchstarten zu können. Dabei besteht die Eigenleistung doch im Engagement und der Kreativität der Menschen, die meist schon mit Spenden oder Kirchensteuern alles bezahlt haben. Bis zur Ausschüttung der Gelder vergehen gerne Monate, das Brennen mithin dann leider auch.

Mit "Unkultur" meine ich, dass ich dem spekulativen Umgang auch mit materiellen Gütern höchst misstrauisch gegenüberstehe. Wir sind als verfasste Kirche nicht Besitzerin sondern Verwalterin der uns anvertrauten Mittel. Wir sollen keinen Profit erwirtschaften, sondern dem anbrechenden Reich Gottes möglichst wenig im Weg stehen. Den Schatz unserer Hoffnung dürfen wir nicht verprassen aber eben auch nicht vergraben oder so stark verdünnen, dass die Hoffnung fad wird.

Was ist das Blockierendste für „burning persons“?

Wer in der Kirche Verantwortung für Seelsorge trägt, weiß dass der Spalt zwischen Vorsicht und Angst genau so schmal ist wie der zwischen Mut und Übermut. Diesen Wagen können wir aber nicht dauerhaft stehen lassen. In großer Verbundenheit zu allen Vor- und Umsichtigen sage ich daher: strukturell abgesicherte Mutlosigkeit ist ein Übel, unter dem wir leiden.

Wirklich empören tut es mich aber, wenn sich Funktionäre aus taktischen Gründen ideenlos an Ressourcen klammern, die sie vielleicht selbst später mal irgendwofür brauchen.

Und wenn ich für eine Vision brenne verwirren mich natürlich Leute, die fragen, ob das nicht bis nächstes Jahr warten kann, wenn die Finanzlage geklärter ist.

Zugleich muss man sagen: es ist ein berechtigtes Interesse meines Unternehmens, in der Verwaltung und im Controlling unserer Pfarreien und Bistümer nicht ganz so brennende Persons zu beschäftigen - sonst brennt der Laden bald ab.

Braucht die Kirche viel mehr Persönlichkeiten wie Sie? Oder welche Wege, Menschen für die Kirche (wieder) zu gewinnen, gibt es aus Ihrer Sicht noch?

Ob es unbedingt Persönlichkeiten wie ich sein müssen, bezweifle ich stark. Aber Menschen, die für etwas brennen: unbedingt. Schauen Sie mal, in meiner Kirche gibt es Menschen, die engagieren sich ehrenamtlich als Trauerbegleiter und bei Begräbnisdiensten, bei der Versorgung von Obdachlosen und Strafgefangenen.

In der Notfallseelsorge sind SeelsorgerInnen nachts auf dem Schlachtfeld einer Autobahnkarambolage für die Rettungshelfer da, überbringen anschließend Todesnachrichten an Eltern, die ihre Kinder verloren haben und bleiben notfalls bis zum Frühstück dort sitzen.

Manche von ihnen stehen am nächsten Nachmittag wieder am Taufbecken und ersehnen mit jungen Eltern, dass dies neue Leben gelinge. Diese Abgründe und Höhepunkte des Lebens sind es heute, an denen sich entscheidet, ob wir Menschen mit der Zuversicht unseres Glaubens spürbar berühren können. Lieber den zweitbesten Fisch als einen lauen Glaubenszeugen.

Was würden Sie der Kirche empfehlen, um bei den Menschen präsenter zu sein?

Unbedingt Seelsorgerinnen und Seelsorger so weit als möglich in der Seelsorge einsetzen statt im Managen von Strukturen und Gremien, die sich selbst mit etwas verwechseln, das sie nicht sind. Wir sind nicht zu alt, sondern zu beschäftigt.

Wie kann Kirche wieder stärker ins Gespräch und in die Köpfe und Herzen der Menschen kommen?

Gegenfrage: Wie können die Menschen wieder stärker ins Gespräch und die Köpfe der Kirche kommen?

Was würden Sie der Kirche empfehlen, um mehr Glaubenszeugen zu gewinnen und hervorzubringen?

Ich würde das Wort "mehr" und seine Synonyme gerne mal für ein paar Jahre deaktivieren – es macht krank und ignoriert das "schon" zugunsten eines virtuellen "noch nicht". Das ständige "mehr" geht uns ziemlich auf die Nerven und entwertet latent das Bestehende. Das ist theologisch unredlich und vor allem: unmenschlich.

Unsere Jugendkirche kafarna:um hatten wir ursprünglich in einen 29-qm-Raum gequetscht, um uns von dem dauernden Stress zu erlösen, dass "mal wieder viel zu wenige gekommen sind". Seit wir wieder Zeit und Aufmerksamkeit für die Wenigen haben, kommen tatsächlich regelmäßig… ach ja, das wollte ich ja vermeiden...

Wer ist für Sie Jesus von Nazareth – ebenfalls eine burning person?

Ich sag's in etwa mit den Worten des von mir hochverehrten Wilhelm Bruners, langjähriger Pilgerseelsorger im Heiligen Land: Falls es schließlich so etwas wie ein Gericht geben sollte, bei dem ich vor Gottes Angesicht trete, dann werde ich selbst der Staatsanwalt und Christus mein Verteidiger sein, der mich vor meinen eigenen Anklagen verteidigt. Ich habe schon eine dicke Ermittlungsakte bei mir selbst, das mach ich besser als jeder andere...

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