Startseite Ausgabe 04 | Erreicht/Unerreicht – Welche Zielgruppen spricht Kirche heute noch an?
   
 
Text: Christof Vetter
 
Christof Vetter, Jahrgang 1960, ist Oberkirchenrat und Presse-sprecher der Evangelischen Kirche Deutschlands.
 
   
 

Wie sieht aus Ihrer professionellen Sicht zielgruppengerechte Kommunikation aus?

Von allem Anfang der christlichen Kirchen an war es selbstverständlich, dass Christen öffentlich über ihren Glauben und über das, was in ihren Gemeinschaften geschieht, öffentlich Rechenschaft ablegen. Wer die langen Missionswege des Apostel Paulus und die Berichte über Gespräche in der Apostelgeschichte auch mit Menschen, denen das Christentum fremd war, nachliest, kann darunter nichts anderes verstehen werden, als das, was Öffentlichkeitsarbeit erreichen möchte: Information, emotionale Einstimmung und die Bindung interessierter Menschen. Damals zu Beginn der Kirche, wie auch mit Entstehung der protestantischen Kirche nach dem Thesenanschlag Martin Luthers 1517 haben die Christen dafür immer die je zu ihrer Zeit modernsten Medien genutzt. Missionsreisen am Anfang, der aufkommende Buchdruck im 16. Jahrhundert und die modernen, elektronischen Medien im 20. Jahrhundert – technische Möglichkeiten einer jeweils modernen Öffentlichkeitsarbeit der Kirchen.

Für eine nach modernen Grundsätzen arbeitende Öffentlichkeits- und Pressearbeit scheint diese Zielgruppenbestimmung ungenügend, will doch jeder, der sich in diesem Feld engagiert, die Menschen in ihrem je eigenen Umfeld, in ihrer je eigenen Wirklichkeit, in ihrer je eigenen Mentalität erreichen. Seit Anfang der 70er Jahre erforscht die Evangelische Kirche in Deutschland deshalb im Zehn-Jahres-Rhythmus die Einstellungen und Lebensgewohnheit ihrer Mitglieder: Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen geben für die kirchliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Erkenntnisse über die bekannten und offen zugänglichen gesellschaftlichen Erkenntnisse der Milieus in der bundesdeutschen Gesellschaft hinaus. In den seither vier Untersuchungen lässt sich das Abwandern am Rand ebenso wahrnehmen wie die grundsätzliche Stabilität der Kirchenmitgliedschaft. Beides ist in unterschiedlichen Milieus unterschiedlich stark ausgeprägt, was niemand überraschen kann und wird, der mit offenen Augen die Gesellschaft beobachtet.

So sieht sich kirchliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einer dreifachen Zielbestimmung unterworfen: Angesprochen werden die Mitglieder der Kirche. Dabei ist gerade an die zu denken, die häufig gern und selbstverständlich Mitglied der Kirche sind, aber am kirchlichen Leben in den fast 20.000 Kirchengemeinden nicht teilnehmen. Angesprochen werden die Interessierten, die unter Umständen nicht mehr Mitglieder sind. Gerade die deutsche Geschichte bringt es mit sich, dass in unterschiedlichen Regionen durch staatlichen Druck oder durch zivilgesellschaftliche Entwicklungen Menschen die Kirche verlassen haben. Die vermutlich über 3 Millionen evangelisch getaufte Menschen, die in den 80er und 90er Jahren aus der Kirche ausgetreten sind, sind ebenso gezielt und deutlich zu informieren und anzusprechen, wie diejenigen, die in den Zeiten der DDR im Osten nicht einmal mehr getauft wurden. Angesprochen werden als Drittes die Multiplikatoren, die in ihren beruflichen Funktionen Einstellungen und Grundhaltungen prägen. Sie werden auch weiterhin ihre Einstellung zur Kirche und zum Glauben an Dritte weitergeben, aber nur wer qualifiziert informiert ist, kann vorhandene Vorurteile revidieren.

Dass diese – eher funktional beschriebenen – Zielgruppen quer zu allen üblichen und gewohnten soziologischen Zielgruppenbestimmung liegen, erklärt den Reiz und die Faszination kirchlicher Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und fordert heraus, was der Apostel Paulus zu seiner Zeit so beschrieben hat: „Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden - obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette“ – und eben den Menschen der modernen Mediengesellschaft ein Mensch mit einer modernen Botschaft.

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