Kirche im Zeitalter der Marken
Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult.
Heribert Meffert
Professor Meffert baute den ersten deutschen
Lehrstuhl für Marketing an der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster auf und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des
Marketing Centrum Münster.
Er hat im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere eine Vielzahl
von Unternehmen und Markenmanagern wissenschafltich beraten.
Herr Professor Meffert, wie definieren Sie
Marke und wann sind für Sie Unternehmen, Produkte oder Dienstleistungen
eine Marke?
Das Markenverständnis hat sich in
den letzten Jahrzehnten verändert. Ursprünglich war Marke
immer aus Perspektive der Angebotsseite mit der Qualität eines
Produkts oder einer Dienstleistung verbunden. Mittlerweile ist die
Nachfragebetrachtung in den Vordergrund gerückt, also: wie
bestimmte Vorstellungsbilder – sei es nun Wissen oder Einstellung
– in bestimmten Zielgruppen verankert sind. Im Zusammenspiel
beider Perspektiven führt dies zu der sogenannten Inside-Out-
und Outside-In-Betrachtung.
Bei diesem identitätsorientierten
Verständnis der Marke steht die Analyse des Selbst- und Fremdbildes
im Vordergrund. Ist bspw. das Selbstbild der Kirche kongruent mit
dem Fremdbild oder bestehen Diskrepanzen? Zu den Dimensionen Selbst-
und Fremdbild gibt es zudem die immer stärker in der Diskussion
stehende dritte Dimension, den Markenkern. Dieser beinhaltet die
zentralen Merkmale und Werte, die eine Marke nach innen und außen
repräsentiert.
Was ist der „Markenkern“ von
Kirche?
Der Kern von Kirche stammt natürlich
aus der Verkündung und ist die wie immer fixierte Heilsbotschaft.
Dieser Kern aber – und das ist wichtig – verspricht
ein Nutzenbündel, das sich nachhaltig gegenüber Wettbewerbern
und anderen Nutzenbündeln profiliert.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen Kirche
als Institution, Kirche als Produkt und letztlich auch Kirche als
Person, so dass das Markenbild bei jeder Projektion bei den Menschen
unterschiedlich wahrgenommen wird. Jede individuelle Ebene beinhaltet
insofern wichtige Implikationen für das Vorstellungsbild unterschiedlicher
Zielgruppen.
Das Kirchenmarketing kann zu einem gewissen
Grad Akzente zur Steuerung des Vorstellungsbildes setzen, aber letztlich
muss Marketing den Markenkern transportieren und ein Relationship-Marketing
aufbauen, also Beziehungen zu den Gläubigen herstellen. Hier
bestehen bei beiden großen Kirchen nicht unerhebliche Defizite.
Wie stehen denn Marketing im Allgemeinen
und Markenführung zueinander?
Marketing verstehe ich zuallererst als
Führungsaufgabe. Eine Führungsaufgabe, die in der Gestaltung
von Austauschprozessen zwischen verschiedenen Zielgruppen und Institutionen
besteht, welche in einem wettbewerbsorientierten Umfeld leben, die
aber auch gesellschaftliche Verantwortung tragen.
Wenn man diese unterschiedlichen
Dimensionen sieht, sind wir natürlich auch gleich bei dem,
was die Marke betrifft. Die Marke ist kein selbständiges Phänomen,
sondern es ist ein Mittel zur Positionierung und Führung im
Hinblick auf die Ziele einer Organisation.
Es gibt Stimmen, die es blasphemisch finden,
Begrifflichkeiten aus dem Marketing auf Kirche anzuwenden. Wie stehen
Sie dazu?
Das ist richtig, es bestehen vielerorts
noch Reaktanzen. Doch letztendlich liegt dies an dem weit verbreiteten
Verständnis des Marketing als eine auf Werbung gerichtete Manipulationstechnik.
Wenn man Marketing aber weiter, als Gestaltung von Austauschprozessen
versteht, dann werden diese Vorbehalte natürlich weniger. Ich
hoffe, dass sich gerade das breite Marketingverständnis durchsetzt.
Wenn ich es richtig sehe, hat sich in letzter Zeit angesichts der
Herausforderung, vor der die großen Kirchen heute stehen,
einiges im Denken verändert.
Würden Sie so weit gehen, dass Sie
bei der evangelischen und katholischen Kirche von Wettbewerbern
sprechen würden?
Ich würde die christlichen Kirchen
eher als eine Familie im Sinne einer Markenfamilie bezeichnen, bei
der das Christentum das Dach ist, unter dem sich katholische, evangelische
und orthodoxe Bereiche wieder finden – mit unterschiedlichen
Akzenten aber auch unterschiedlichen Differenzierungen. Natürlich
besteht irgendwo Wettbewerb. Letztlich würde ich diesen aber
eher gegenüber Sekten und Sinn gebenden Elementen sehen.
Gerade konkurrierende Marken müssen
ihre Besonderheiten anbieten. Dies würde jedoch streng genommen
für die großen Kirchen bedeuten, dass die katholische
Kirche besser nicht mit der evangelischen Kirche zusammen arbeitet,
weil sie sich dann nicht differenzieren kann?
Die Frage ist nicht einfach zu beantworten,
vor allem aus der historischen Entwicklung heraus. Es gibt große
Abgrenzungen und Unterschiede auch innerhalb der beiden Kirchen
selbst. Aber unter dem Aspekt der Zukunftsbetrachtung und der Tatsache,
dass wir schließlich in einer multi-kulturellen Gesellschaft
leben, die durch Religionen über das Christentum hinaus geprägt
ist, würde ich Ihre Frage eher verneinen.
Aus Marketingsicht sollte man die Markenfamilie
eher gegenüber Wettbewerbern stärken, die nicht zu dieser
Familie gehören. Die Frage ist letztendlich: Gewinnt man, wenn
man in einen Wettbewerb tritt statt ökumenisch zusammen zu
arbeiten? Ich glaube nein.
Was meinen Sie, können die beiden großen
Volkskirchen vom Marketing und moderner Markenführung lernen?
Welche Elemente und Techniken bieten sich gerade für die großen
Kirchen an?
Zunächst muss man zwischen zwei wesentlichen
Aufgaben der Kirche unterscheiden. Das Spektrum an sozialen Diensten
– Kirche als Caritas – auf der einen Seite und der Verkündigung
auf der anderen Seite. Marketing kann hier eine flankierende Rolle
übernehmen.
Grundsätzlich können die Kirchen
vom Marketing sicherlich etwas von der Philosophie der Kundenorientierung
lernen. Die Kirchen müssen kunden-, also gläubigenorientiert
sein und die Bedürfnisse der Gläubigen erkennen. Um Erkenntnisse
über Einstellungen und Verhaltensweisen der Gläubigen
zu bekommen, kann der Einsatz von Marktforschung helfen. Die Sinus-Milieu-Studie
der katholischen Kirche ist hierfür ein Beispiel. Die Erkenntnisse
über unterschiedliche Sinus-Milieus bieten der Kirche die Chance,
segmentspezifisch und somit bedürfnisgerecht in den Dialog
mit Gläubigen zu treten. Eine zielgruppengenaue Ansprache trägt
zudem zur Profilierung der Marke Kirche bei.
Sie sprechen die Sinus-Milieu-Studie an,
die von der katholischen Kirche in Auftrag gegeben wurde und deren
Ergebnisse seit diesem Jahr vorliegen. Es gibt viele Leute im „Management“
der katholischen Kirche, die diese Studie ablehnen. Wie denken Sie
darüber?
Um genauere Erkenntnisse über die
Erwartungen und Bedürfnisse der Gläubigen aber auch der
Nichtgläubigen zu erlangen, sind solche Studien dringend erforderlich.
Einer der zentralen Gesichtspunkte von Marketing ist die Marktsegmentierung.
So muss sich die Kirche sowohl auf die junge Generation als auch
auf die ältere Generation im Zuge eines fortschreitenden demographischen
Wandels verstärkt einstellen. Die psychografische Lifestyle-Segmentierung
der vorliegenden Sinus-Milieu-Studie der katholischen Kirche zeigt
deutlich, dass die katholische Kirche nur noch in zwei solcher Lebenswelten
eine starke Verankerung besitzt. Dies macht eine Umüberlegung,
wie der Dialog mit unterschiedlichen Milieus zukünftig zu gestalteten
ist, notwendig.
Es gibt viele Priester, die sagen: Wir brauchen
keine Studien, unsere „Schäfchen“ kennen wir aus
der Pfarrarbeit. Was halten Sie von solchen Argumenten?
Mit dem Kunden zu leben heißt mit
dem Gläubigen zu leben. Kundennähe ist praktizierte Nähe
zu den Gläubigen. Das halte ich für ein unabdingbares
wichtiges Prinzip im Marketing und damit auch für Kirche, denn
nur so lassen sich Probleme erkennen und nur so kann man letztlich
individuell auf den Menschen eingehen. Ich glaube, Kirche hat sich
zu lange mit dem Vorstellungsbild einer anonymen globalen Gläubigerwelt
beschäftigt. Sie müsste sehr viel stärker das direkte
interaktive Element stärken.
Nehmen Sie zum Beispiel den Kirchenaustritt:
Wenn Menschen aus der Kirche austreten, so scheinen mir Priester
bisweilen beleidigt zu sein, obwohl sie diese Menschen davor wenig
gekannt oder betreut haben.
Eigentlich geht es doch darum, sich auf
Menschen und deren Probleme einzustellen, mit ihnen in Dialog zu
treten und ihnen Hilfe anzubieten, wenn sie in Not sind. Dies kann
z. B. durch den persönlichen Dialog oder einen Brief geschehen.
Diese persönliche Beziehung sowie die direkte Ansprache der
Gläubigen halte ich für unabdingbar wichtig. Hier besteht
natürlich das Dilemma, dass die Zahl der Priester aus vielerlei
Gründen, die wir kennen, ausgedünnt ist und hier somit
Laien gefordert sind. Es geht letztlich um die Bürgergesellschaft,
die einen Anteil leistet, dieses Netzwerk zu leben und zu gestalten.
Ist die von Ihnen beschriebene Kundenbindung
nicht immer mit großem Aufwand, personell oder finanziell,
verbunden?
Richtig. Aber vielleicht darf ich in diesem
Zusammenhang noch ein Wort zum Thema Marke sagen. Beziehungen sind
dann besonders intensiv, wenn ein bestimmtes Maß an Vertrauen
bereits aufgebaut worden ist. Bei knapper Ressourcenausstattung
sind über die Marke kommunizierte Vertrauenssignale ein effektives
und effizientes Mittel zur Kundenbindung.
Mit rein werblichen Argumenten ist Kundenbindung
allerdings nur bedingt erreichbar. Hier sehe ich Grenzen in der
Umsetzung. Andere kirchliche Organisationen können indes als
Benchmark dienen, wie mit dem Problem knapper Ressourcen umgegangen
werden kann. Die Kirchen in den USA nutzen zum Beispiel verstärkt
das Fernsehen, um Gottesdienste zu übertragen. Auch das Internet
bietet großes Potenzial. Von Vorteil ist, dass die Kirchen
heute im nichtwerblichen Teil der Medien einen sehr hohen Stellenwert
finden. Wenn zum Beispiel „Die ZEIT“ überlegt,
ob sie jede Woche eine ganze Seite zu bestimmten Fragen und Herausforderungen
kirchlicher Art bringt, dann verdeutlicht dies das gewachsene Medieninteresse.
Dennoch bedarf es Werbung, um das Heil zu verkünden und missionarisch
tätig zu sein. Ich glaube, dass Werbung in der Tat ein flankierendes
unterstützendes und wichtiges Instrument für die Kirche
ist, aber natürlich auch ein teures.
Der Tod von Papst Johannes Paul II., die
Wahl von Kardinal Ratzinger zum Papst, der Weltjugendtag und der
Besuch von Benedikt XVI. in Bayern – all das waren Ereignisse,
die Menschenmassen bewegt haben. Mobilisiert Kirche die Massen nur
noch durch Megaereignisse? Braucht Kirche mehr Eventmarketing, um
überhaupt noch Impulse setzen zu können?
Das ist eine gute Frage. Ich möchte
sie ein wenig verfremden. Nehmen Sie das Politikmarketing. Immer
häufiger sieht man, dass Politik im Grunde nicht mehr primär
Inhalte vermittelt, sondern auf wunderschöne Events setzt,
bei denen Politiker idealpositioniert werden. Dies sehe ich als
eine große Gefahr.
Events sind gut, wenn sie bestimmte Stimmungslagen vermitteln und
Aufbruchstimmung erzeugen wie zum Beispiel der Weltjugendtag in
Köln. Oder nehmen Sie die Fußballweltmeisterschaft. Diese
war sehr wichtig, um der Welt bestimmte Images mit großer
Reichweite zu signalisieren.
Aber Events reichen in keiner Weise aus.
Man braucht ein Spektrum an Instrumenten und Formen der Kommunikation.
Große Events gehören zu einer globalen oder weltweiten
Organisation, wie sie die Kirche darstellt, einfach dazu. Aber auf
der anderen Seite darf man nicht die direkten Formen von Interaktion
und Kontemplation vernachlässigen. Das ist im Grunde dann die
weiterführende Persönlichkeitsentwicklung in den religiösen
Bereichen.
Das sozial-caritative und pädagogische
Engagement der katholischen und evangelischen Kirche genießt
hohe Wertschätzung. Wäre nicht ein Transfer dieses Images
auf den Bereich der Verkündung denkbar?
Das stimmt. Die Kirchen genießen
als soziale Dienstleister großes Ansehen. Was sie in der Bildung,
in Kindergärten und an vielen anderen Stellen leisten, findet
oftmals mehr Gehör und Gefallen als auf der anderen Seite die
Institution Kirche mit ihrer Verkündung. Ich glaube, dieses
starke Image in den Bereichen Soziales, Bildung und Gesundheit muss
transferiert werden. Das halte ich für wünschenswert.
Viele Menschen wissen aber gar nicht mehr,
dass hinter Caritas und Diakonie die beiden großen Volkskirchen
stehen. Kann man mit Hilfe von Werbung und Marketing diese Brücke
schlagen und die Wissenslücke der Menschen schließen?
Dies stellt für das Marketing im
Grunde keine große Herausforderung dar. Wissen und Information
zu kommunizieren gehört zu den Kernaufgaben des Marketing.
Viel wichtiger ist jedoch vorab die Frage zu klären, warum
solche Wissensdefizite existieren. Sind die Ursachen im Fernbleiben
großer Bevölkerungsgruppen vom Gottesdienst zu suchen
oder sind hierfür evtl. andere Gründe verantwortlich?
Kirche hat einen Bekanntheitsgrad von 100 %, aber ihre Teilleistungen
werden offensichtlich nicht unter einem Dach wahrgenommen.
Bei der katholischen Kirche sehe bezüglich eines Imagetransfers
ihre Haltung zu Zölibat, Geburtenkontrolle etc. erschwerend,
weil eine solche Haltung von vielen Menschen als sehr dogmatisch
und konservativ wahrgenommen wird.
Was muss Kirche vor Ort kommunizieren?
Der Gläubige muss einen Nutzen verspüren.
Im Sinne einer größeren Sicherheit für sein Leben
zum Beispiel, dass er mit Hilfe der Kirche sein Leben besser bewältigen
kann. Dass er aber auch zu sich kommt und manches in dieser Welt
relativiert. Wenn es der Kirche vor Ort gelingt, ein Gefühl
der Gemeinschaft und Fürsorge zu vermitteln, dann ist das ein
großer Schritt. Kirche vor Ort muss sich um die Gläubigen
bemühen.
Erkennen Sie eine Kommunikationsstrategie
der katholischen und evangelischen Kirche?
Bei der Kirche als Organisation erkenne
ich keine so klare Linie – vor allem nicht in Hinblick auf
die Positionierung. Aber vielleicht ist das auch ein Defizit von
mir. Wenn Sie die Frage auf den Vorgängerpapst beziehen, dann
fällt meine Antwort anders aus. Papst Johannes Paul II. hat
meines Erachtens hervorragend signalisiert, für was er steht.
Er war damit für die Kirche als Person präsent. Er hatte
eine Linie. Er war Repräsentant. Diese Tradition führt
Benedikt XVI. konsequent weiter. Schon vor seiner Amtseinführung
gab er z. B. eine Pressekonferenz, bei der er sich den Fragen der
Journalisten stellte. Das ist schon eine gewaltige Öffnung.
In einer Größendimension, die für mich als Kind
unter Papst Pius nicht möglich gewesen wäre.
Die katholische Kirche in Deutschland
ist unterteilt in 27 Bistümer, sie ist also kein streng durchorganisiertes
Unternehmen. Halten Sie es dennoch für denkbar, dass die katholische
Kirche Themen einheitlich besetzt und kommuniziert? Sie müssten
dann ja sozusagen ihre Bischöfe disziplinieren.
Ich habe lange mit Toto-Lotto Gesellschaften
in diesem Lande diskutiert, die unter einem großen Wettbewerbsdruck
stehen und wo jeder mit einem unterschiedlichen Logo unterwegs war.
Es hat lange gedauert, bis sie Toto-Lotto als Dach verstanden haben
und einheitlich kommuniziert haben.
Ich halte so etwas aus Marketingsicht
auch für Kirche wünschenswert. Es sollte ein mit gewissen
Entscheidungskompetenzen ausgestattetes Gremium geben, das die Kommunikation
professionalisiert. Das gibt es bislang nicht.
Ein anderes Thema: Wir haben schon mehrfach
darüber nachgedacht, eine Kampagne zu entwickeln für Leute,
die aus der Kirche ausgetreten sind. Eine Kampagne, die sie reaktiviert
und wieder heranführt an Kirche. Wie denken Sie darüber?
Das Thema Rückgewinnung von Kunden
spielt eine wesentliche Rolle im Marketing. Customer Relationship
Marketing ist sehr wichtig, nicht nur für Kirche. Ein Kollege
von mir hat z. B. gerade untersucht, wie man ehemalige BahnCard-Kunden
zurückgewinnen kann. Also, wenn Kirche das letzte ihrer Schäfchen
verliert, dann ist es auch aus mit der christlichen Botschaft. Also
muss Kirche sich um dieses Thema kümmern.
Ich persönlich meine, man sollte
hier geeignete Maßnahmen ergreifen, um den kontinuierlichen
Kontakt zu suchen, aufzubauen und zu halten. Es ist keine einfache
Aufgabe, auch vor dem Hintergrund, dass manche Priester sich scheuen,
diese Aufgabe ganz konkret anzugehen.
Wenn man
sich den Fächerkanon der Priesterausbildung anschaut, findet
man dort keine Fächer oder Lehrinhalte wie Marketing, Werbung,
Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Kundengespräche,
Kundengewinnung, Customer Relationship Management, Beschwerde-management
etc. Sind Priester überhaupt für solche Aufgaben, wie
Sie sie gerade beschrieben haben, ausgebildet?
Sie haben Recht. So etwas setzt natürlich
auch Schulung und Wissen voraus. Daran mangelt es sicherlich oftmals.
Es gibt den rein theologisch ausgerichteten Priester, dann gibt
es welche, die größere Fähigkeiten haben als andere,
mit Gläubigen in Dialog zu treten.
Ich bin kürzlich angefragt worden,
Geisteswissenschaftlern mindestens zwei Stunden pro Woche die Grundprinzipien
des Marketing zu vermitteln, damit diese einen Überblick über
Verständnis und Vorgehensweisen des Marketing erhalten. Da
gibt es also offensichtlich nicht nur in der Theologie erhebliche
Defizite.
Wie stehen
Sie zu der These des Trendforschers, Religionswissenschaftlers und
Medientheoretikers Professor Norbert Bolz: „Es gibt ein wachsendes
religiöses Bedürfnis, dennoch haben es die großen
organisierten Kirchen immer schwerer, ihre Mitglieder zu halten.“
Dem kann ich grundsätzlich zustimmen.
Nach Massenaustritten in den letzten drei Jahrzehnten erleben wir
derzeit eine gewisse Renaissance der Religionen. Mit steigender
Komplexität dieser Welt und damit einhergehender Orientierungslosigkeit
gewinnen Ankerpunkte, wie Religion, eine wieder zunehmende Bedeutung.
Die Nachfrage nach spirituellen Angeboten wächst.
Dennoch konstatieren wir einen starken Trend der Individualisierung,
der sich bspw. in Austritten aus Parteien und sonstigen Organisationen
widerspiegelt. Große, wenig dynamische Organisationen haben
es da besonders schwer, dem Wandel dieser Welt nachzukommen.
Wenn die Kirchen ein richtig verstandenes
Marketing vollziehen, ihre Marke weiter entwickeln und die Botschaft
im Nutzen sowie in der Vorstellung der Gläubigen stärken,
dann werden sie Zulauf haben. Aber wenn sie sich nicht den veränderten
Bedürfnissen der Menschen anpassen, werden sie in diesem Wettbewerb
der Spiritualität an Boden verlieren.
Zwei Fragen
zum Schluss: Glauben Sie?
Ja.
Sie sind in der Kirche?
Ja, ich bin in der katholischen Kirche, aber kein absolut aktiver
Kirchgänger.
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