Startseite Ausgabe 03 | Bekannt/Unbekannt – Was kann Kirche von moderner Markenführung lernen?
   
 
Im Interview:
Prof. Dr. Dr. h.c. mult.
Heribert Meffert
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Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Heribert Meffert ist emeritierter Direktor des Marketing Centrum Münster an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. An der Universität Münster baute er das erste Institut für Marketing an einer deutschen Hochschule auf. 1981 war er Gründungsmitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung e. V., Münster.  
   

 

  Kirche im Zeitalter der Marken

Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heribert Meffert

Professor Meffert baute den ersten deutschen Lehrstuhl für Marketing an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster auf und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des Marketing Centrum Münster.
Er hat im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere eine Vielzahl von Unternehmen und Markenmanagern wissenschafltich beraten.

 

Herr Professor Meffert, wie definieren Sie Marke und wann sind für Sie Unternehmen, Produkte oder Dienstleistungen eine Marke?

Das Markenverständnis hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Ursprünglich war Marke immer aus Perspektive der Angebotsseite mit der Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung verbunden. Mittlerweile ist die Nachfragebetrachtung in den Vordergrund gerückt, also: wie bestimmte Vorstellungsbilder – sei es nun Wissen oder Einstellung – in bestimmten Zielgruppen verankert sind. Im Zusammenspiel beider Perspektiven führt dies zu der sogenannten Inside-Out- und Outside-In-Betrachtung.

Bei diesem identitätsorientierten Verständnis der Marke steht die Analyse des Selbst- und Fremdbildes im Vordergrund. Ist bspw. das Selbstbild der Kirche kongruent mit dem Fremdbild oder bestehen Diskrepanzen? Zu den Dimensionen Selbst- und Fremdbild gibt es zudem die immer stärker in der Diskussion stehende dritte Dimension, den Markenkern. Dieser beinhaltet die zentralen Merkmale und Werte, die eine Marke nach innen und außen repräsentiert.

Was ist der „Markenkern“ von Kirche?

Der Kern von Kirche stammt natürlich aus der Verkündung und ist die wie immer fixierte Heilsbotschaft. Dieser Kern aber – und das ist wichtig – verspricht ein Nutzenbündel, das sich nachhaltig gegenüber Wettbewerbern und anderen Nutzenbündeln profiliert.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen Kirche als Institution, Kirche als Produkt und letztlich auch Kirche als Person, so dass das Markenbild bei jeder Projektion bei den Menschen unterschiedlich wahrgenommen wird. Jede individuelle Ebene beinhaltet insofern wichtige Implikationen für das Vorstellungsbild unterschiedlicher Zielgruppen.

Das Kirchenmarketing kann zu einem gewissen Grad Akzente zur Steuerung des Vorstellungsbildes setzen, aber letztlich muss Marketing den Markenkern transportieren und ein Relationship-Marketing aufbauen, also Beziehungen zu den Gläubigen herstellen. Hier bestehen bei beiden großen Kirchen nicht unerhebliche Defizite.

Wie stehen denn Marketing im Allgemeinen und Markenführung zueinander?

Marketing verstehe ich zuallererst als Führungsaufgabe. Eine Führungsaufgabe, die in der Gestaltung von Austauschprozessen zwischen verschiedenen Zielgruppen und Institutionen besteht, welche in einem wettbewerbsorientierten Umfeld leben, die aber auch gesellschaftliche Verantwortung tragen.

Wenn man diese unterschiedlichen Dimensionen sieht, sind wir natürlich auch gleich bei dem, was die Marke betrifft. Die Marke ist kein selbständiges Phänomen, sondern es ist ein Mittel zur Positionierung und Führung im Hinblick auf die Ziele einer Organisation.

Es gibt Stimmen, die es blasphemisch finden, Begrifflichkeiten aus dem Marketing auf Kirche anzuwenden. Wie stehen Sie dazu?

Das ist richtig, es bestehen vielerorts noch Reaktanzen. Doch letztendlich liegt dies an dem weit verbreiteten Verständnis des Marketing als eine auf Werbung gerichtete Manipulationstechnik. Wenn man Marketing aber weiter, als Gestaltung von Austauschprozessen versteht, dann werden diese Vorbehalte natürlich weniger. Ich hoffe, dass sich gerade das breite Marketingverständnis durchsetzt. Wenn ich es richtig sehe, hat sich in letzter Zeit angesichts der Herausforderung, vor der die großen Kirchen heute stehen, einiges im Denken verändert.

Würden Sie so weit gehen, dass Sie bei der evangelischen und katholischen Kirche von Wettbewerbern sprechen würden?

Ich würde die christlichen Kirchen eher als eine Familie im Sinne einer Markenfamilie bezeichnen, bei der das Christentum das Dach ist, unter dem sich katholische, evangelische und orthodoxe Bereiche wieder finden – mit unterschiedlichen Akzenten aber auch unterschiedlichen Differenzierungen. Natürlich besteht irgendwo Wettbewerb. Letztlich würde ich diesen aber eher gegenüber Sekten und Sinn gebenden Elementen sehen.

Gerade konkurrierende Marken müssen ihre Besonderheiten anbieten. Dies würde jedoch streng genommen für die großen Kirchen bedeuten, dass die katholische Kirche besser nicht mit der evangelischen Kirche zusammen arbeitet, weil sie sich dann nicht differenzieren kann?

Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, vor allem aus der historischen Entwicklung heraus. Es gibt große Abgrenzungen und Unterschiede auch innerhalb der beiden Kirchen selbst. Aber unter dem Aspekt der Zukunftsbetrachtung und der Tatsache, dass wir schließlich in einer multi-kulturellen Gesellschaft leben, die durch Religionen über das Christentum hinaus geprägt ist, würde ich Ihre Frage eher verneinen.

Aus Marketingsicht sollte man die Markenfamilie eher gegenüber Wettbewerbern stärken, die nicht zu dieser Familie gehören. Die Frage ist letztendlich: Gewinnt man, wenn man in einen Wettbewerb tritt statt ökumenisch zusammen zu arbeiten? Ich glaube nein.

Was meinen Sie, können die beiden großen Volkskirchen vom Marketing und moderner Markenführung lernen? Welche Elemente und Techniken bieten sich gerade für die großen Kirchen an?

Zunächst muss man zwischen zwei wesentlichen Aufgaben der Kirche unterscheiden. Das Spektrum an sozialen Diensten – Kirche als Caritas – auf der einen Seite und der Verkündigung auf der anderen Seite. Marketing kann hier eine flankierende Rolle übernehmen.

Grundsätzlich können die Kirchen vom Marketing sicherlich etwas von der Philosophie der Kundenorientierung lernen. Die Kirchen müssen kunden-, also gläubigenorientiert sein und die Bedürfnisse der Gläubigen erkennen. Um Erkenntnisse über Einstellungen und Verhaltensweisen der Gläubigen zu bekommen, kann der Einsatz von Marktforschung helfen. Die Sinus-Milieu-Studie der katholischen Kirche ist hierfür ein Beispiel. Die Erkenntnisse über unterschiedliche Sinus-Milieus bieten der Kirche die Chance, segmentspezifisch und somit bedürfnisgerecht in den Dialog mit Gläubigen zu treten. Eine zielgruppengenaue Ansprache trägt zudem zur Profilierung der Marke Kirche bei.

Sie sprechen die Sinus-Milieu-Studie an, die von der katholischen Kirche in Auftrag gegeben wurde und deren Ergebnisse seit diesem Jahr vorliegen. Es gibt viele Leute im „Management“ der katholischen Kirche, die diese Studie ablehnen. Wie denken Sie darüber?

Um genauere Erkenntnisse über die Erwartungen und Bedürfnisse der Gläubigen aber auch der Nichtgläubigen zu erlangen, sind solche Studien dringend erforderlich. Einer der zentralen Gesichtspunkte von Marketing ist die Marktsegmentierung. So muss sich die Kirche sowohl auf die junge Generation als auch auf die ältere Generation im Zuge eines fortschreitenden demographischen Wandels verstärkt einstellen. Die psychografische Lifestyle-Segmentierung der vorliegenden Sinus-Milieu-Studie der katholischen Kirche zeigt deutlich, dass die katholische Kirche nur noch in zwei solcher Lebenswelten eine starke Verankerung besitzt. Dies macht eine Umüberlegung, wie der Dialog mit unterschiedlichen Milieus zukünftig zu gestalteten ist, notwendig.

Es gibt viele Priester, die sagen: Wir brauchen keine Studien, unsere „Schäfchen“ kennen wir aus der Pfarrarbeit. Was halten Sie von solchen Argumenten?

Mit dem Kunden zu leben heißt mit dem Gläubigen zu leben. Kundennähe ist praktizierte Nähe zu den Gläubigen. Das halte ich für ein unabdingbares wichtiges Prinzip im Marketing und damit auch für Kirche, denn nur so lassen sich Probleme erkennen und nur so kann man letztlich individuell auf den Menschen eingehen. Ich glaube, Kirche hat sich zu lange mit dem Vorstellungsbild einer anonymen globalen Gläubigerwelt beschäftigt. Sie müsste sehr viel stärker das direkte interaktive Element stärken.

Nehmen Sie zum Beispiel den Kirchenaustritt: Wenn Menschen aus der Kirche austreten, so scheinen mir Priester bisweilen beleidigt zu sein, obwohl sie diese Menschen davor wenig gekannt oder betreut haben.

Eigentlich geht es doch darum, sich auf Menschen und deren Probleme einzustellen, mit ihnen in Dialog zu treten und ihnen Hilfe anzubieten, wenn sie in Not sind. Dies kann z. B. durch den persönlichen Dialog oder einen Brief geschehen. Diese persönliche Beziehung sowie die direkte Ansprache der Gläubigen halte ich für unabdingbar wichtig. Hier besteht natürlich das Dilemma, dass die Zahl der Priester aus vielerlei Gründen, die wir kennen, ausgedünnt ist und hier somit Laien gefordert sind. Es geht letztlich um die Bürgergesellschaft, die einen Anteil leistet, dieses Netzwerk zu leben und zu gestalten.

Ist die von Ihnen beschriebene Kundenbindung nicht immer mit großem Aufwand, personell oder finanziell, verbunden?

Richtig. Aber vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Thema Marke sagen. Beziehungen sind dann besonders intensiv, wenn ein bestimmtes Maß an Vertrauen bereits aufgebaut worden ist. Bei knapper Ressourcenausstattung sind über die Marke kommunizierte Vertrauenssignale ein effektives und effizientes Mittel zur Kundenbindung.

Mit rein werblichen Argumenten ist Kundenbindung allerdings nur bedingt erreichbar. Hier sehe ich Grenzen in der Umsetzung. Andere kirchliche Organisationen können indes als Benchmark dienen, wie mit dem Problem knapper Ressourcen umgegangen werden kann. Die Kirchen in den USA nutzen zum Beispiel verstärkt das Fernsehen, um Gottesdienste zu übertragen. Auch das Internet bietet großes Potenzial. Von Vorteil ist, dass die Kirchen heute im nichtwerblichen Teil der Medien einen sehr hohen Stellenwert finden. Wenn zum Beispiel „Die ZEIT“ überlegt, ob sie jede Woche eine ganze Seite zu bestimmten Fragen und Herausforderungen kirchlicher Art bringt, dann verdeutlicht dies das gewachsene Medieninteresse. Dennoch bedarf es Werbung, um das Heil zu verkünden und missionarisch tätig zu sein. Ich glaube, dass Werbung in der Tat ein flankierendes unterstützendes und wichtiges Instrument für die Kirche ist, aber natürlich auch ein teures.

Der Tod von Papst Johannes Paul II., die Wahl von Kardinal Ratzinger zum Papst, der Weltjugendtag und der Besuch von Benedikt XVI. in Bayern – all das waren Ereignisse, die Menschenmassen bewegt haben. Mobilisiert Kirche die Massen nur noch durch Megaereignisse? Braucht Kirche mehr Eventmarketing, um überhaupt noch Impulse setzen zu können?

Das ist eine gute Frage. Ich möchte sie ein wenig verfremden. Nehmen Sie das Politikmarketing. Immer häufiger sieht man, dass Politik im Grunde nicht mehr primär Inhalte vermittelt, sondern auf wunderschöne Events setzt, bei denen Politiker idealpositioniert werden. Dies sehe ich als eine große Gefahr.

Events sind gut, wenn sie bestimmte Stimmungslagen vermitteln und Aufbruchstimmung erzeugen wie zum Beispiel der Weltjugendtag in Köln. Oder nehmen Sie die Fußballweltmeisterschaft. Diese war sehr wichtig, um der Welt bestimmte Images mit großer Reichweite zu signalisieren.

Aber Events reichen in keiner Weise aus. Man braucht ein Spektrum an Instrumenten und Formen der Kommunikation. Große Events gehören zu einer globalen oder weltweiten Organisation, wie sie die Kirche darstellt, einfach dazu. Aber auf der anderen Seite darf man nicht die direkten Formen von Interaktion und Kontemplation vernachlässigen. Das ist im Grunde dann die weiterführende Persönlichkeitsentwicklung in den religiösen Bereichen.

Das sozial-caritative und pädagogische Engagement der katholischen und evangelischen Kirche genießt hohe Wertschätzung. Wäre nicht ein Transfer dieses Images auf den Bereich der Verkündung denkbar?

Das stimmt. Die Kirchen genießen als soziale Dienstleister großes Ansehen. Was sie in der Bildung, in Kindergärten und an vielen anderen Stellen leisten, findet oftmals mehr Gehör und Gefallen als auf der anderen Seite die Institution Kirche mit ihrer Verkündung. Ich glaube, dieses starke Image in den Bereichen Soziales, Bildung und Gesundheit muss transferiert werden. Das halte ich für wünschenswert.

Viele Menschen wissen aber gar nicht mehr, dass hinter Caritas und Diakonie die beiden großen Volkskirchen stehen. Kann man mit Hilfe von Werbung und Marketing diese Brücke schlagen und die Wissenslücke der Menschen schließen?

Dies stellt für das Marketing im Grunde keine große Herausforderung dar. Wissen und Information zu kommunizieren gehört zu den Kernaufgaben des Marketing. Viel wichtiger ist jedoch vorab die Frage zu klären, warum solche Wissensdefizite existieren. Sind die Ursachen im Fernbleiben großer Bevölkerungsgruppen vom Gottesdienst zu suchen oder sind hierfür evtl. andere Gründe verantwortlich? Kirche hat einen Bekanntheitsgrad von 100 %, aber ihre Teilleistungen werden offensichtlich nicht unter einem Dach wahrgenommen.

Bei der katholischen Kirche sehe bezüglich eines Imagetransfers ihre Haltung zu Zölibat, Geburtenkontrolle etc. erschwerend, weil eine solche Haltung von vielen Menschen als sehr dogmatisch und konservativ wahrgenommen wird.

Was muss Kirche vor Ort kommunizieren?

Der Gläubige muss einen Nutzen verspüren. Im Sinne einer größeren Sicherheit für sein Leben zum Beispiel, dass er mit Hilfe der Kirche sein Leben besser bewältigen kann. Dass er aber auch zu sich kommt und manches in dieser Welt relativiert. Wenn es der Kirche vor Ort gelingt, ein Gefühl der Gemeinschaft und Fürsorge zu vermitteln, dann ist das ein großer Schritt. Kirche vor Ort muss sich um die Gläubigen bemühen.

Erkennen Sie eine Kommunikationsstrategie der katholischen und evangelischen Kirche?

Bei der Kirche als Organisation erkenne ich keine so klare Linie – vor allem nicht in Hinblick auf die Positionierung. Aber vielleicht ist das auch ein Defizit von mir. Wenn Sie die Frage auf den Vorgängerpapst beziehen, dann fällt meine Antwort anders aus. Papst Johannes Paul II. hat meines Erachtens hervorragend signalisiert, für was er steht. Er war damit für die Kirche als Person präsent. Er hatte eine Linie. Er war Repräsentant. Diese Tradition führt Benedikt XVI. konsequent weiter. Schon vor seiner Amtseinführung gab er z. B. eine Pressekonferenz, bei der er sich den Fragen der Journalisten stellte. Das ist schon eine gewaltige Öffnung. In einer Größendimension, die für mich als Kind unter Papst Pius nicht möglich gewesen wäre.


Die katholische Kirche in Deutschland ist unterteilt in 27 Bistümer, sie ist also kein streng durchorganisiertes Unternehmen. Halten Sie es dennoch für denkbar, dass die katholische Kirche Themen einheitlich besetzt und kommuniziert? Sie müssten dann ja sozusagen ihre Bischöfe disziplinieren.

Ich habe lange mit Toto-Lotto Gesellschaften in diesem Lande diskutiert, die unter einem großen Wettbewerbsdruck stehen und wo jeder mit einem unterschiedlichen Logo unterwegs war. Es hat lange gedauert, bis sie Toto-Lotto als Dach verstanden haben und einheitlich kommuniziert haben.

Ich halte so etwas aus Marketingsicht auch für Kirche wünschenswert. Es sollte ein mit gewissen Entscheidungskompetenzen ausgestattetes Gremium geben, das die Kommunikation professionalisiert. Das gibt es bislang nicht.

Ein anderes Thema: Wir haben schon mehrfach darüber nachgedacht, eine Kampagne zu entwickeln für Leute, die aus der Kirche ausgetreten sind. Eine Kampagne, die sie reaktiviert und wieder heranführt an Kirche. Wie denken Sie darüber?

Das Thema Rückgewinnung von Kunden spielt eine wesentliche Rolle im Marketing. Customer Relationship Marketing ist sehr wichtig, nicht nur für Kirche. Ein Kollege von mir hat z. B. gerade untersucht, wie man ehemalige BahnCard-Kunden zurückgewinnen kann. Also, wenn Kirche das letzte ihrer Schäfchen verliert, dann ist es auch aus mit der christlichen Botschaft. Also muss Kirche sich um dieses Thema kümmern.

Ich persönlich meine, man sollte hier geeignete Maßnahmen ergreifen, um den kontinuierlichen Kontakt zu suchen, aufzubauen und zu halten. Es ist keine einfache Aufgabe, auch vor dem Hintergrund, dass manche Priester sich scheuen, diese Aufgabe ganz konkret anzugehen.

Wenn man sich den Fächerkanon der Priesterausbildung anschaut, findet man dort keine Fächer oder Lehrinhalte wie Marketing, Werbung, Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Kundengespräche, Kundengewinnung, Customer Relationship Management, Beschwerde-management etc. Sind Priester überhaupt für solche Aufgaben, wie Sie sie gerade beschrieben haben, ausgebildet?

Sie haben Recht. So etwas setzt natürlich auch Schulung und Wissen voraus. Daran mangelt es sicherlich oftmals. Es gibt den rein theologisch ausgerichteten Priester, dann gibt es welche, die größere Fähigkeiten haben als andere, mit Gläubigen in Dialog zu treten.

Ich bin kürzlich angefragt worden, Geisteswissenschaftlern mindestens zwei Stunden pro Woche die Grundprinzipien des Marketing zu vermitteln, damit diese einen Überblick über Verständnis und Vorgehensweisen des Marketing erhalten. Da gibt es also offensichtlich nicht nur in der Theologie erhebliche Defizite.

Wie stehen Sie zu der These des Trendforschers, Religionswissenschaftlers und Medientheoretikers Professor Norbert Bolz: „Es gibt ein wachsendes religiöses Bedürfnis, dennoch haben es die großen organisierten Kirchen immer schwerer, ihre Mitglieder zu halten.“

Dem kann ich grundsätzlich zustimmen. Nach Massenaustritten in den letzten drei Jahrzehnten erleben wir derzeit eine gewisse Renaissance der Religionen. Mit steigender Komplexität dieser Welt und damit einhergehender Orientierungslosigkeit gewinnen Ankerpunkte, wie Religion, eine wieder zunehmende Bedeutung. Die Nachfrage nach spirituellen Angeboten wächst.
Dennoch konstatieren wir einen starken Trend der Individualisierung, der sich bspw. in Austritten aus Parteien und sonstigen Organisationen widerspiegelt. Große, wenig dynamische Organisationen haben es da besonders schwer, dem Wandel dieser Welt nachzukommen.

Wenn die Kirchen ein richtig verstandenes Marketing vollziehen, ihre Marke weiter entwickeln und die Botschaft im Nutzen sowie in der Vorstellung der Gläubigen stärken, dann werden sie Zulauf haben. Aber wenn sie sich nicht den veränderten Bedürfnissen der Menschen anpassen, werden sie in diesem Wettbewerb der Spiritualität an Boden verlieren.

Zwei Fragen zum Schluss: Glauben Sie?
Ja.

Sie sind in der Kirche?
Ja, ich bin in der katholischen Kirche, aber kein absolut aktiver Kirchgänger.

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