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Text: Prof. Michael
N. Ebertz |
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Dr. Dr. Michael N. Ebertz
ist Professor für Sozialpolitik und Freie Wohlfahrtspflege
an der Katholischen Fachhochschule in Freiburg und Privatdozent
für Soziologie an der Universität Konstanz. |
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„Was ist für Sie aus Ihrer
professionellen Perspektive das, was Ihnen von der medialen Berichterstattung
über Sterben und Begräbnis von Papst Johannes Paul II.
am bemerkens- und erwähnenswertesten erscheint?“
Fünf Thesen sollen genügen. Sie
kreisen um die Stichworte Massen, Medien, Öffentlichkeit, Charisma,
Vater und Weltgesellschaft.
1. Bemerkenswert ist zunächst die Tatsache
der massenmedialen Berichterstattung überhaupt. Ist denn nicht
einfach ein alter Mann gestorben? Offensichtlich nicht. Die Massenmedien
hätten nicht berichtet. Jeden Tag sterben alte Menschen. Die
Logik der massenmedialen Berichterstattung selbst spiegelt uns:
Gestorben ist ein besonderer Mensch, ein Mann von außerordentlicher
Bedeutung, von Prominenz, Prestige und wohl auch von Charisma. Mehr
an Amtscharisma und Prominenz hat die römisch-katholische Weltkirche
nicht zu bieten, mehr an Prestige auch nicht (wenn auch in Deutschland
– aber Deutschland ist nicht die Welt - die Prestigewerte
von JPII massiv gefallen waren).
2. Sein massenmediales Prestige und sein
Charisma bezog JPII aber auch noch aus Quellen, die das klassische
Erscheinungsbild eines Papstes überlagerten: Nicht-Italiener,
Osteuropäer, Pole, kein Kurienpapst, Professor, Schauspieler,
Sportler, weltoffener Grenzüberschreiter durch Reisen mit neuem
Ritual (Bodenkuss) in neuem öffentlichem Raum. Und der ist
von den Medien kontrolliert. Sie drängten sich ihm auf, und
er bot sich ihnen an.
3. Damit wurde er zum ersten globalisierten
Papst, aber auch „zu einem Showstar unter vielen anderen“
mit ,appearance’ und ,performance’ „zwischen Papstfigur
und Celebrity“ und einer ,split audience’ aus Gläubigen
und Publikum.(1)
Er suchte nicht nur die Medien, sondern auch die Massen –
selbst noch im Sterben.
4. Indem er sich mit ihnen identifizierte,
identifizierten sie sich mit ihm – bei seinem Begräbnis,
sogar über seinen Tod hinaus. Elias Canetti hat (in „Masse
und Macht“) Recht: „An der Kirche gemessen, erscheinen
alle Machthaber wie traurige Stümper“, und ich ergänze:
An diesem Papst gemessen noch mehr. Als weltoffener Grenzüberschreiter,
der alle Sprachen der Welt zu sprechen fähig schien, besetzte
er konkurrenzlos in der neu entstandenen Weltgesellschaft eine damit
neu entstandene Position, die des Vaters der Weltgesellschaft. Und
die Weltgesellschaft nahm von ihrem Vater Abschied und erlebte sich
in ihm.
5. Die nicht-demokratische Kirche tendiert
dazu, diesen Abschied als medial vermittelte Massenzustimmung zum
katholischen Glauben zu werten, als Plebiszit, und als Wiedergewinnung
von öffentlicher Präsenz des Katholischen, verstärkt
durch die massen- und mediale Aufmerksamkeit bei der Papst(neu)wahl
und der Inszenierung des neuen Papstes auf dem Event des Weltjugendtags.
Erwächst aus dieser medialen öffentlichen Aufmerksamkeit
und massenhaften Verbundenheit aber Glaubensverbindlichkeit? Die
wachsende Pluralisierung, Privatisierung und Relativierung des Religiösen
kann freilich durch solche Transzendenzerfahrungen im Augenblick
kaum kaschiert werden. „Wir sind Papst“ heißt
eben nicht: „Wir sind katholisch“! Allenfalls eventuell.
(1)
Bergmann/Luckmann/Soeffner, Erscheinungsformen von Charisma
– Zwei Päpste, in: Gebhardt/Zingerle/ Ebertz (Hg.): Charisma,
Berlin 1993.
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